Er

Vieles von dem was Christen glauben findet auch bei Anhängern anderer Weltanschauungen Zustimmung. Nächstenliebe zum Beispiel. Oder die christlichen Werte – was immer auch damit gemeint ist. Das alles ist ja wertvoll für „Die Gesellschaft“ und muss deshalb auch bewahrt werden. Oder man kann es zumindest mitleidig lächelnd tolerieren. Aber bei einem Thema scheiden sich die Geister. Das heißt, es ist eigentlich kein Thema. Es ist ein Jemand. Es ist Er. Jesus.

Jesus spaltet. Wahrscheinlich auch Sie, liebe Leser (m/w/d). Als Sie eben eine Zeile weiter oben diesen Namen lasen, haben Sie vermutlich eine von zwei Reaktionen gezeigt: Sie haben laut und freudig zugestimmt oder stöhnend die Augen verdreht. Sie stimmen freudig zu, weil auch für Sie dieser Jesus das Zentrum Ihres Glaubens ist und somit das Zentrum Ihres Lebens. Sie verdrehen die Augen, weil Sie diesen Anspruch völlig überzogen finden.

Mit letzterer Reaktion haben Sie auch recht. Der alte weise Mann richtet sein Leben an diesem Jesus aus, aber er erschrickt regelmäßig über seinen eigenen Glauben. Übertragen wir das Ganze mal in unsere Zeit: Da ist ein Mensch, nennen wir ihn Karlheinz Meier. Der lebt dreißig Jahre lang relativ unauffällig. Dann beginnt er in einem überschaubaren Radius um sein Heimatdorf umherzuziehen und bemerkenswerte Dinge über Gott von sich zu geben. Außerdem heilt er körperlich und psychisch Kranke. Karlheinz Meier gewinnt viele Follower, aber er eckt mit seiner Botschaft auch an. Schließlich wird er von feindlich gesinnten Hasspredigern getötet. Drei Tage später lebt er aber wieder und verschwindet vierzig Tage danach aus dieser Welt in vermutlich eine andere. Außer in einem Umkreis von 100 km um sein Dorf hat keiner was von dem Ganzen mitbekommen. Ein paar Jahrzehnte später glauben aber Millionen Menschen an Karlheinz Meier und bekennen: Er ist Gott, der Mensch geworden ist.

Nicht zu glauben, oder? Tja, doch zu glauben. Der alte weise Mann kann aus einem halben Jahrhundert Leben mit Karlhei… äh Jesus bestätigen: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Nicht weil es dem alten weisen Mann gut tut oder ihm bei der Lebensbewältigung hilft (das auch), sondern weil es so ist. Weil er immer wieder verstört vor seinem eigenen Glauben zusammenzuckt, aber am Ende immer wieder zum selben Ergebnis kommt: Er kann nicht anders als an Jesus zu glauben. Weil es wahr ist.

Mehr dazu im nächsten Artikel. Bis dahin entlässt Sie der alte weise Mann in freudige Erregung oder missbilligendem Augenbrauenhochziehen.

Alles anders, immer

Das Leben in der Realität ist das einzig sinnvolle Leben, hat der alte weise Mann im Vorwort geschrieben. Diese Realität ist ein Universum, das nach eindeutigen Regeln von Ursache und Wirkung funktioniert. Daraus folgt eine weitere Eigenart der Realität: Es geschieht immer etwas. Nichts kann sich der Einwirkung durch den Rest des Universums entziehen. Pausenlos wirken Gigantillionen von Vorgängen auf andere Vorgänge ein. Mit anderen Worten: Es gibt im Universum keinen Stillstand. Alles ist Bewegung und Veränderung. Von den riesigen Galaxien bis zu den kleinsten Bestandteilen eines Atoms. Auch Sie selbst verändern sich unaufhörlich. Ihr Körper bildet neue Zellen, alte Zellen sterben ab, Blut fließt, Nervenimpulse strömen, ihr Gehirn arbeitet ununterbrochen. Dasselbe gilt für Sie als Persönlichkeit. Sie verändern sich jeden Tag. Sie machen neue Erfahrungen, Sie vergessen, Sie erinnern sich. Meistens sind das nur unmerkliche Veränderungen, manchmal machen Sie einen großen Sprung.

Die Realität ist also Veränderung. Nie gibt’s Ruhe. Das überfordert viele Menschen. Deshalb flüchten sie aus dieser anstrengenden Realität in ein persönliches Universum, in dem alles festgefügt ist. „Das war schon immer so, das haben wir noch nie gemacht, und da könnte ja jeder kommen.“ Vor allem wenn es jemandem gut geht, ist jede Veränderung angsteinflößend. „Okay“, heißt es dann, „bis jetzt war alles in Entwicklung. Aber nun habe ich ein Endstadium erreicht, das sich nie mehr ändern darf.“ Doch schnell kommt die Realität ums Eck und sagt: „Ne, das jetzt ist auch nur ein Durchgangsstadium.“ Und prompt ist der Mensch beleidigt und macht der Realität / dem Schicksal / Gott bittere Vorwürfe. „Jetzt war ich 56 Jahre lang gesund. Warum ändert sich das jetzt?“ „Wir leben seit Jahrzehnten in Frieden und Sicherheit. Das darf nie mehr anders werden, koste es was es wolle!“ „Wir zwei sind so verliebt ineinander. So bleibt es die nächsten hundert Jahre. Und wenn nicht: Dann ist unsere Beziehung am Ende.“

Das alles ist einer der verbreitetsten Gründe weshalb Menschen leiden. Weil sie in einem Parallel-Universum leben, in dem sich nie etwas ändert.  Und weil der Mensch an sich eine Eigenart hat, die ihm das Leiden erst so richtig ermöglicht: Er sieht nur das was er verliert. Das was er hat ist selbstverständlich. – Dass ich lebe: Äh, klar, warum nicht? Dass ich dieses Leben wieder verliere: Nö, auf keinen Fall! Dass ich dieses Leben ohne körperliche Einschränkungen leben kann: Also bitte, da brauchen doch gar nicht darüber reden! Dass ich diese Gesundheit verliere: Böse Welt! Böser Gott! Dass es unserer Gesellschaft so gut geht wie noch nie: Was weiß ich von „wie noch nie“! Ich kenn es nicht anders. Dass Menschen unseren Wohlstand und Frieden bedrohen, möglicherweise: Skandal! Lasst sie alle absaufen!

Sinnvolles Leben ist Leben in der Realität. In der tatsächlich existierenden Realität. Diese Art zu leben ist auch viel weniger anstrengend. Man bekommt nicht jeden Tag zehnmal eins von der Realität auf die Rübe. Man muss sich viel weniger aufregen und kann sein Leben gelassener angehen, wenn man in dem Bewusstsein lebt, dass eh alles nur vorübergehend ist. Dann genießt man das was man hat auch viel intensiver. Weil man weiß: Man hat nicht ewig Zeit dafür. Und das Verlieren fällt leichter, wenn man weiß: Ich verliere ohnehin. Jeden Tag ein bisschen und am Ende alles. Egal ob ich dagegen ankämpfe, davor davonlaufe oder es akzeptiere. Nur: Akzeptieren kostet am wenigsten Kraft, beim selben Ergebnis. Also …

Ins Buch geschaut

Christen haben zwei Grundlagen für ihren Glauben: Die Bibel und persönliche Erfahrung. Was erstere angeht: Da hält sich hartnäckig die Ansicht, dass die Bibel von Gott handelt. Das ist nicht ganz verkehrt, ist aber auch nicht ganz richtig. Richtig ist: Die Bibel handelt davon, wie Menschen Gott erfahren.

Denn über Gott selbst lässt sich nichts sagen. Gott ist anders. Nicht nur ein bisschen anders, so wie Sie sich zum Beispiel von Ihrer Nachbarin unterscheiden. Gott ist komplett völlig total anders. Er ist unbegreifbar, unvorstellbar. Alles was man über Gott sagt, geht an seiner Realität vorbei. (Mit Sicherheit auch der eben gesagte Satz.)

Aber Menschen können Gott erfahren, diesen unfassbaren, unverstehbaren Gott. Weil sich Gott erfahrbar macht. So können Menschen nicht nur glauben, sondern wissen dass es Gott gibt, und sein Wesen kennenlernen. Das aber immer noch jeden Verstand und jede Art der menschlichen Auffassung übersteigt. Was zu einer Spannung führt, die sehr schwer auszuhalten ist. Weshalb immer die Versuchung da ist, diesen Gott zu vermenschlichen. Ihn aus der Unbegreifbarkeit herauszuholen und ihn zu einer Art Super-Superman zu machen. Einem Über-Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, den man aber begreifen kann, den man im eigenen Sinn lenken und beeinflussen kann.

Sobald das aber geschieht, verliert man diesen Gott. Der Satz „Ich habe Gott verstanden“ ist ein sicherer Hinweis darauf, dass man nicht an Gott glaubt.

Genau von dieser Spannung handelt die Bibel. Deshalb heißt es „Du sollst dir kein Bild, keine Vorstellung von Gott machen.“ Deshalb antwortet Gott auf die Frage von Mose, wer er denn sei, mit „Jahwe“ – auf Deutsch: „Ich bin“. Mehr kann man nicht sagen über Gott. Deshalb geht es in der ganzen Bibel vom Anfang der Schöpfung bis zum Ende in der Offenbarung um eines: „Gott ist der Chef. Und das nicht nur ein bisschen, sondern ganz und gar.“

Insofern ist es richtig dass die Bibel von Gott handelt. Aber Gott lässt sich nicht in Worte fassen. Der Ausdruck „Chef“ im obigen Absatz ist ja auch schon wieder eine Vermenschlichung, um das Unfassbare fassbar zu machen. Anders geht es halt nicht. Aus diesem Grund können Menschen, wenn sie von Gott sprechen, immer nur davon sprechen, wie sie ihn erfahren. Und von eben diesen Erfahrungen handelt die Bibel. Sie ist kein theoretisches Lehrbuch, sie ist ein lebenspraktisches Buch, ein Buch über gelebten Glauben.

Was heißt das nun über den Umgang mit der Bibel? Mehr dazu in diesem Artikel.

Ursache, Wirkung, Regeln

Dieser Blog ist eine Suche nach der Wahrheit, hat der alte weise Mann hier gewarnt. Es geht hier nicht nach dem Lebensmotto von Pippi Normalverbraucher „Ich mach mir die Welt, widde widde, wie sie mir gefällt“. – Ja, also dann, wie ist denn die Welt dann so? Also die real existierende Welt?

Die reale Welt funktioniert nach einem klaren Grundprinzip – dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Alles was geschieht, wird durch etwas verursacht. Und alles was geschieht, verursacht wiederum etwas anderes. Nichts geschieht „einfach so“. Und nichts bleibt wirkungslos.

Ursache und Wirkung geschehen wiederum nach bestimmten, immer gleichen Regeln. Die regeln nicht nur, was wann geschieht, sondern auch wie es geschieht. Der Mensch nennt das „Naturgesetze“.

Das alles ist sehr praktisch. Sie können sich dank der Naturgesetze und des Ursache-Wirkungsprinzips darauf verlassen, dass Ihr Bein sich heute in die gleiche Richtung mit der gleichen Geschwindigkeit und Kraft bewegt wie gestern, wenn Sie exakt die gleiche Bewegung damit ausführen. Stellen Sie sich mal eine Welt ohne Ursache-Wirkung-Naturgesetze vor. Sie würden heute plötzlich rennen wie Usain Bolt und morgen mit jedem Schritt in die Höhe sausen, weil die Gravitation sich gerade eine Auszeit nimmt. Nein, das würde nicht passieren – weil es Sie gar nicht gäbe. Weil Ihr Körper alle paar Sekunden anders funktionieren würde. Weshalb es Ihren Körper gar nicht gäbe. Weshalb es schon gar kein funktionierendes Universum gäbe.

Oder vielleicht doch. Wir können uns eine Welt ohne Ursache-Wirkung-klare Regeln-Gedöns halt einfach nicht vorstellen. Weil nun mal alles darauf aufbaut. Das Universum an sich, das Leben im Speziellen und unser Denken im besonders Speziellen. Darum werden wir auch so nervös, wenn etwas „einfach so“ geschieht. (Wobei eben nie etwas „einfach so“ geschieht. Uns fehlt nur öfter mal der Einblick in Ursache und Wirkung.) Darum suchen wir immer und überall nach Zusammenhängen, nach Mustern, nach Sinn. Darum fragen kleine Kinder schon pausenlos „Warum?“. Darum betreiben erwachsene Kinder Wissenschaft. Darum basteln sich Menschen Welt-Anschauungen.

Weil der Mensch vor allem bequem ist, müssen alle diese Zusammenhänge, Muster, Sinn-Antworten und Welt-Anschauungen nicht unbedingt richtig sein. Hauptsache, sie geben zumindest kurzfristig eine Ursache-Wirkung-Regel-Erklärung, die nicht nach fünf Minuten in sich zusammenfällt. Die Erklärung muss beruhigen, nicht erklären.

Das Ursache-Wirkung-Naturgesetze-Prinzip ist also ungeheuer praktisch und bequem, nicht nur im Alltag. Alle Wissenschaft lebt davon, dass man anhand dieses Prinzips verlässlich in die Vergangenheit zurückschauen kann und zuverlässige Berechnungen für die Zukunft anstellen kann. (Sofern man korrekte und vollständige Daten hat.) Das Ganze hat aber auch seine beunruhigenden Seiten. Denn verlässlich in die Vergangenheit und Zukunft sehen anhand der Naturgesetze heißt auch: Es ist alles von Anbeginn an festgelegt. Es stand fünf Sekunden nach dem Urknall schon fest, wie hoch die Luftfeuchtigkeit am heutigen Tag an Ihrem Wohnort sein wird.

Womit dann sehr schnell eine extrem beunruhigende Frage auftaucht: Ja, was ist dann mit dem freien Willen des Menschen? Ist dann auch seit zig Milliarden Jahren festgelegt, dass Sie jetzt exakt in diesem Moment exakt diese Worte lesen?

Dazu später mehr – sofern das Ursache-Wirkung-Regel-Prinzip dem alten weisen Mann Gelegenheit dazu gibt. Er wünscht Ihnen auf jeden Fall schon mal eine ruhige Zeit mit vielen beruhigenden Erklärungen.

Es kommt zur Sprache

Sprache – die wichtigste Erfindung des Menschen. Das Wesentlichste, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Sprache ist das was dem Menschen erst Planung ermöglicht, in die Zukunft gerichtet zu leben, Wissen und Können weiterzugeben und Wissen und Können zu erwerben ohne es vorgemacht zu bekommen. Sprache ist auch das was dem Menschen ermög­licht, in die Vergangenheit zu schauen, zu verstehen und zu lernen. Kultur ist nur mit Sprache möglich. Auch ein komplexeres soziales Leben, das nicht nur aus dem Ausleben von Trieben besteht, funktioniert nur mit Sprache.

Sprache ist also etwas Urmenschliches. Aber sprechen wir auch das was wir denken?

Gelegentlich. In den seltenen Fällen, in denen wir tatsächlich in ganzen, ausformulierten Sät­zen denken, sagen wir dann auch, was wir denken. Aber – der größte Teil des Denkens geschieht ohne Sprache; und wenn Denken sprachlich abläuft, dann nur sehr, sehr selten in vollständig ausformulierter Sprache.

Wenn Denken sprachlich verläuft, dann fast immer in der Form „Oh weh!“, „Da hinten dings!“, „Ich muss gleich also hm ja“ oder „☺“ oder so ähnlich. Wenn wir sagen würden was wir denken, würden wir meistens in dieser Form reden. – Äh, wenn ich so drüber nachdenke: Die meisten Gespräche laufen tatsächlich so ab.

Man sagt in der Tat meistens das was man denkt. Das ist deshalb sehr häufig wirr, bruch­stückhaft und nur für einen selbst verständlich – bestenfalls. Wenn man sich anderen ver­ständlich machen will, muss man nachdenken – oder besser gesagt: vor-denken. Das ist müh­sam und hält einen ständig auf. Deshalb gibt es zwei Konzepte von Sprache. Konzept A: Der Mensch denkt vorher darüber nach, was er sagen will und sagt dann genau das was er eben gedacht hat. Konzept B: Der Mensch sagt irgendetwas. In guten Momenten denkt er hinterher darüber nach, was er gerade gemeint hat. Das ist aber nicht verpflichtend.

99,9 % der Gesprächsäußerungen entstammen dem Konzept B.

Ein A-Mensch versucht zu sagen was er meint und denkt zu diesem Zweck nach bevor er re­det. Er meint im Allgemeinen dann auch das was er sagt so wie er es sagt. Er nimmt das was andere sagen so wie sie es sagen.

Ein B-Mensch spricht so wie er denkt – ungeordnet, unvollständig, wi­dersprüchlich, unkontrolliert. Das was er sagt ist nicht unbedingt das was er meint. Wenn er „Ja“ sagt kann das unter günstigen Umständen auch „Ja“ bedeuten. Es kann aber auch „Nein“ heißen oder „Vielleicht“, oder „Keine Ahnung“ oder „Hau ab, du gehst mir auf die Nerven“ oder „Pfrmftl“.

Für einen B-Menschen haben deshalb Worte keine spezielle Bedeutung. Er geht aus diesem Grund selbstverständlich davon aus, dass auch das Reden aller anderen Menschen ohne Be­deutung ist.

Diese beiden Konzepte funktionieren wunderbar, solange sie unter sich bleiben. Kritisch wird es, wenn ein A-Mensch und ein B-Mensch aufeinander treffen. Der B-Mensch nimmt selbst­verständlich an, dass der A-Mensch auch nur Bedeutungsloses von sich gibt. Das führt zur Verärgerung des A-Menschen und in der Folge zur Verärgerung des B-Menschen. Dieser Konflikt kann dann aber leider durch kein Gespräch gelöst werden, weil dieses Gespräch wie­derum im Konflikt zwischen Konzept A und B verläuft und somit den Ärger nur noch vergrö­ßert.

Gelegentlich wechselt ein B-Mensch zumindest vorübergehend die Seiten. Dann wird alles gut. Ansonsten bleibt den A-Menschen nur, resignierend die Unbestimmtheit der B-Men­schen-Sprache hinzunehmen und immer wieder zu versuchen, aus dem in B-Sprache Gespro­chenen einen Sinn zu entlocken.

Dieser ganze Konflikt zwischen den beiden Sprachverständnissen ist sehr schade. Denn – wie bereits erwähnt – Sprache ist die wichtigste und wertvollste Erfindung des Menschen. Sprache macht den Menschen erst zum Menschen.

Andrerseits macht der Mensch ja auch die Sprache. Weshalb die Sprache zwangsläufig so ist wie der Mensch und sein Denken: in Unordnung geordnet, sprunghaft folgerichtig, in Wider­sprüchen eindeutig, unbewusst beabsichtigt. Und vom Grundantrieb des Menschen, der Be­quemlichkeit, bestimmt. Was bedeutet: Sprache wird so gestaltet, dass man dabei möglichst wenig denken muss. Deshalb der Erfolg von Sprachkonzept B. Deshalb die ständige Spannung zwischen Eindeutigkeit und Einfachheit in der Entwicklung von Sprachen.

Lieber Leser (m/w/d), hören Sie den verzweifelten Appell des alten weisen Mannes: Achten Sie auf Ihre Sprache! Denken Sie zuerst und sprechen Sie dann! Genau deshalb sind Sie ein Mensch geworden, und kein Schaf, das nur blöken kann!

Die Gretchenfrage

In Goethes Faust stellt Gretchen dem Titelhelden einmal die Gretchenfrage. Frage für Klugscheißer: Wie lautet diese Frage? Antwort: „Sag, Heinrich, wie hältst du’s mit der Religion?“

Der moderne Heinrich verdreht bei dieser Frage die Augen. Die Henriette auch. Religion ist ja so was von out. „Die Religion“ ist ja auch schuld an allen Übeln dieser Welt. Und überhaupt! Heinrich und Henriette brauchen keine Religion. Sie sind sich selbst gut genug.

Kann man so sehen. Wenn man etwas Entscheidendes übersieht: „Ich bin nicht religiös“ ist auch schon eine religiöse Aussage. Denn jeder Mensch ist religiös. Weil jeder Mensch etwas glaubt. Jeder Mensch hat gewisse Grundannahmen, woher er (und der Rest der Menschheit) kommt, wohin er geht und was das dazwischen alles soll. Manche Menschen haben irgendeinen Gott als Grundannahme, manche Menschen glauben an das Nichts, die meisten Menschen glauben an Wurscht („Das is‘ mir doch alles wurscht!“). Aber jeder Mensch glaubt irgendwas.

„Ich glaube an nichts“ gibt’s nicht. Was es gibt: „Ich glaube an Nichts“. Kleiner Unterschied in der Grammatik, großer Unterschied im Leben. Denn ohne Glauben kann der Mensch nicht leben. Er braucht Sinn, er braucht Schubladen, in die er alles stecken kann. Im Kleinen, im Alltäglichen wie im Großen. Im Wesentlichen gibt es drei Schubladen: 1) Alles hier wurde von irgendjemandem gemacht, 2) alles hier ist von selbst entstanden, 3) das ist mir doch alles wurscht.

Egal in welcher Schublade jemand steckt: Es hat Auswirkungen auf das praktische Leben. Das ist dann die Religion. Ein Mensch, der an einen Gott glaubt, lebt anders als jemand, der sich völlig auf sich allein gestellt sieht. Das Leben von Gottgläubigen unterscheidet sich stark, je nachdem ob der geglaubte Gott ein liebender Gott ist, oder ein strafender, oder ein gleichgültiger. Und wer an Wurscht glaubt, ist den ganzen Tag damit beschäftigt, vor der Erkenntnis zu fliehen, dass es Wurscht nicht gibt und man sich dieser Frage nach dem Leben, dem Universum und allem nicht entziehen kann. Eine ganze Vergnügungsindustrie lebt von dieser Flucht vor der Gretchenfrage ins Wurscht.

„Religion“ sagen die angeblich Nichtreligiösen und meinen damit „Religion mit Gott“. Sie verkennen dabei, dass es auch Religion ohne Gott gibt. Weil der Mensch eben nicht ohne Sinn und Welterklärung auskommt. Gottfreie Religionen sind zum Beispiel Kommunismus, Nationalsozialismus, die freie Marktwirtschaft, die Wissenschaft, die Selbstoptimierung, der Fortschritt, und – vor allem: das Ich.

Der Heinrich, der an die Selbstoptimierung als Lebenssinn glaubt, geht anders mit Menschen um als Henriette, die an einen liebenden Gott glaubt. Heinrich geht anders mit sich selbst um als Henriette. Heinrich sucht sich einen anderen Beruf als Henriette. Heinrich hat anderen Sex als Henriette. Heinrich hat andere religiöse Rituale als Henriette. Er geht nicht in die Kirche, er geht zu einem Marketing-Guru, der ihm die neueste Selbstoptimierungs-Heilslehre erklärt. Und wenn er nebenher noch wissenschaftsgläubig ist, dann liest er in den Heiligen Schriften von Stephen Hawking oder eines anderen Messias.

Jeder Mensch ist religiös. Und Sie? Wie halten Sie es mit der Religion?

Was glauben Sie eigentlich?

Wer an etwas glaubt und diesen Glauben auch noch in praktisches Leben umsetzt, der ist in unserer hochtoleranten Kultur vielen Angriffen ausgesetzt. Denn feste Überzeugungen zu haben ist natürlich so was von intolerant. Klar. Schließlich ist es menschenunmöglich, selbst von etwas überzeugt zu sein und gleichzeitig andere Ansichten zu respektieren. Das wissen die hypertoleranten Menschen ja aus eigener Erfahrung.

Außerdem ist es so was von Mittelalter, etwas zu glauben. Der moderne aufgeklärte Mensch glaubt nicht, er weiß.

Okay. Schauen wir uns mal an, was wir alles wissen. Sie wissen zum Beispiel, dass die Welt aus Atomen aufgebaut ist. – Wirklich? Haben Sie schon mal ein Atom gesehen oder sonst irgendwie persönlich wahrgenommen? Oder wenigstens selbst experimentell nachgewiesen?

Nein? Sie sind kein Atomphysiker? Dann glauben Sie also an die Existenz von Atomen. Wissen tun Sie nicht davon. Sie glauben den Wissenschaftlern, dass ihre Erkenntnisse richtig sind. Sie glauben Ihren Lehrern oder den Büchern oder Internetseiten, dass diese die Erkenntnisse der Wissenschaftler korrekt wiedergeben. Und Sie glauben sich selbst, dass Sie das alles richtig verstehen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Eines aus dem praktischen Leben. Sie wissen, dass Ihre Eltern Ihre Eltern sind. Oder nicht? Können Sie sich an Ihre Zeugung erinnern, oder wenigstens an Ihre Geburt? – Sie wissen also nicht aus eigener Anschauung, ob Ihre Eltern tatsächlich Ihre Eltern sind. Sie können es nur glauben. Sie könnten es mittels eines DNA-Tests überprüfen. Aber dazu müssen Sie wieder viel Glauben aufbringen. Sie müssen glauben, a) dass der Test das richtige Ergebnis liefert, b) dass ein DNA-Test überhaupt was über Abstammung aussagt, c) dass es so was wie DNA tatsächlich gibt und d) dass die im Falle ihrer Existenz etwas mit Fortpflanzung zu tun hat. Das alles können Sie nicht selbst überprüfen und daher nicht wissen. Sie können es nur glauben, zumindest solange Sie sich nicht in die Materie einarbeiten und diese selbst erfahren und begreifen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht hier nicht darum, alles anzuzweifeln oder „der Wissenschaft“ grundsätzlich zu misstrauen oder gar in irgendwelche Verschwörungstheorien zu verfallen. Es geht hier einzig um eines: Sie wissen sehr wenig und glauben sehr viel. Machen Sie einfach mal einen Praxistest! Schreiben Sie sich auf, was Sie alles wissen. Von den ganz banalen Dingen des Alltags bis zu den Basisfakten des Lebens. Und dann schauen Sie sich jeden Punkt an, ob Sie dieses „Wissen“ tatsächlich aus eigener Anschauung und Erfahrung erworben haben, oder nur durch Vermittlung durch andere. Also: Ob Sie das wirklich selbst wissen, oder ob Sie anderen glauben.

Sie werden feststellen: Die meiste Zeit Ihres Lebens sind Sie damit beschäftigt, etwas zu glauben. Auch wenn Sie zu den rational lebenden Menschen gehören, die deshalb jeden religiösen Glauben ablehnen: Sie glauben. Täglich, stündlich, minütlich. Und weil Sie wie jeder Mensch von Bequemlichkeit und Verdrängung beherrscht sind, glauben Sie am liebsten das, was Ihnen nicht weh tut. So wie jeder Christ und jeder Moslem und jeder Jude auch. Es gibt also für Sie keinen Grund zur Überheblichkeit. Das können Sie dem alten weisen Mann glauben.

Endlich – der Verstand

Der alte weise Mann war mal ein junger nicht ganz so weiser Mann.  Irgendwann kurz nach dem Ende der letzten Eiszeit. Damals hatte er einen Grundsatz: Es zählt nur der Verstand. Alles andere ist minderwertig. Also Gefühle, Intuition und so Zeug.

Nach ein paar Jahrzehnten Gebrauch dieses Verstandes brachte eben dieser Verstand den alten weisen Mann zu der Einsicht: Der Verstand hat Grenzen. Nicht nur bei ihm, sondern bei allen Menschen. Der Verstand hat sogar zwei Grenzen: Eine nach außen und eine nach innen.

Jeder Mensch kommt irgendwann an einen Punkt, an der sein Verstand an eine Mauer fährt und anschließend benommen liegen bleibt oder in eine falsche Richtung abbiegt. Manche Menschen erreichen diese Grenze früher und öfter, andere später und seltener. Aber selbst das größte Genie hat keinen unendlichen Verstand.

Dies ist die äußere Grenze des Verstandes. Die innere Grenze liegt im Menschen selbst. Denn das Gehirn des Menschen ist kein Computer. Es funktioniert nicht logisch, es funktioniert assoziativ. Beim menschlichen Gehirn geht Schnelligkeit vor Genauigkeit. Deshalb versucht der Mensch immer, Verbindungen zu schaffen zwischen Erfahrungen, Dingen, Informationen. Ob das dann passt, ist zweitrangig. Hauptsache man hat erst mal eine Schublade gefunden, in die man es reinstecken kann. Logisch denken kann man dann ja später noch. – Tut man dann bloß selten. Weil man ja mit Schubladenbefüllen voll ausgelastet ist.

Dazu kommt noch, dass sich das Gehirn nur das merken kann, was irgendwie mit irgendeinem Gefühl verbunden ist. Was einem wurscht ist, das merkt man sich nicht. Deshalb gibt es kein Denken mit dem Verstand, das nicht frei von Gefühlen ist. Zu dem allem gesellt sich dann noch die fast unendliche Fähigkeit des Menschen zur Verdrängung. Wenn er etwas nicht sehen will, dann sieht er es nicht. Egal wie intelligent er ist. Egal wie deutlich ihm das vor Augen steht, was er nicht sehen will.

Der menschliche Verstand ist also begrenzt. Aber innerhalb dieser Grenzen haben die meisten Menschen einen größeren Bewegungsraum als sie ihn je nutzen. Weil dieser Raum vollgemüllt ist mit Schubladen, unsinnigen Verbindungen, und verdrängten Realitäten. Haben Sie nicht Lust, da mal aufzuräumen? So ein frei beweglicher Verstand (in all seinen Grenzen) ist was Schönes! Schöner jedenfalls als in so einer Müllhalde zu leben.

 

Der alte weise Mann glaubt

Jedes Reden über Gott ist eine Themaverfehlung, hat der alte weise Mann geschrieben. Derselbe alte weise Mann, der einen ganzen Blog mit Reden über Gott betreibt. – Ja, richtig, dieser Blog ist eine einzige Themaverfehlung. Über Gott lässt sich nichts sagen.

Aber Gott lässt sich erfahren. Dieser Gott, der völlig komplett total anders ist, den kein Mensch auch nur ansatzweise begreift, dieser Gott wird so menschlich, dass Menschen ihn erfahren können. Sie verstehen ihn dann zwar immer noch nicht, aber sie glauben. Sie glauben, weil sie nicht anders können angesichts dieser Erfahrung.

Der alte weise Mann glaubt an Gott, an diesen Gott, den Jesus verkündet hat. Er glaubt, weil er weiß. Er weiß, weil er Gott erfahren hat. Der alte weise Mann hat nicht nur das Wirken Gottes erfahren, er hat Gott selbst erlebt. Körperlich, im Kampf, im Ansehen. Der alte weise Mann versteht immer noch nichts. Aber er kann nicht anders als zu glauben an diesen unbegreiflichen Gott. Und aus ihm zu leben und von ihm zu reden. Und dabei immer wieder das Thema zu verfehlen.

Denk! Nicht! Dran!

Es gibt vieles, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Zuallererst mal die Sprache. Nur der Mensch hat die Fähigkeit, Luft gezielt in Bewegung zu versetzen und die dabei entstehenden Schallwellen mit einer enormen Vielzahl von Informationen zu versehen, die beim menschlichen Empfänger wiederum in Gedanken, Gefühle und Handlungen umgewandelt werden. Es gäbe kein Reflektieren und damit keine Kultur, keine Wissenschaft, keine großen Gemeinschaften, keine Kriege ohne Sprache.

Noch faszinierender als die Sprache ist allerdings eine andere typisch menschliche Fähigkeit: Die Verdrängung.

Verdrängung ist mehr als nur Vergessen. Verdrängung ist Vergessen plus Vergessen, dass man vergisst plus Vergessen des Speicherplatzes des Verdrängten plus Vergessen, dass dieser Speicherplatz überhaupt existiert. Plus – natürlich – den ganzen Vorgang des Vergessens schon mal gar nicht zu bemerken.

Jeder Mensch verdrängt etwas. Erlebnisse und Erfahrungen, die schmerzhaft oder beschämend sind. Erkenntnisse, die einen selber in Frage stellen würden. Teile der Persönlichkeit, die unangenehm sind.

Das Faszinierende am Verdrängen ist, was das für ein hochkomplexer Vorgang ist. Das beginnt schon damit, dass das alles absichtlich geschieht, aber zu keinem Zeitpunkt bewusst werden darf. Denn der Mensch verdrängt ja nicht aus Spaß an der Übung, sondern weil er irgendetwas äußerst Unangenehmes los werden will. Das aber da ist und nie mehr verschwinden wird. Also muss es irgendwo hin, wo der bewusste Mensch nie hin kommt; und am besten der unbewusste Mensch auch nicht.

Das Ganze funktioniert aber nur, wenn der Mensch selbst nicht bemerkt, dass er das Unangenehme irgendwo weit weg deponiert. Er muss also verdrängen dass er verdrängt. Die Verdrängung des Verdrängens darf er aber auch nicht bemerken, weshalb er auch die Verdrängung des Verdrängens verdrängen muss.

Aber es kommt noch härter. Denn das alles ist ja kein einmaliger Vorgang. Verdrängung funktioniert nur, wenn sie in jeder Sekunde des Lebens reibungslos funktioniert. Das heißt: Der Mensch muss pausenlos die Verdrängung der Verdrängung der Verdrängung verdrängen.

Dazu kommt, dass ihm auch nicht bewusst werden darf, worum es bei seiner Verdrängung geht. Ein Beispiel: Ein Mensch wird sexuell missbraucht. Diese Erfahrung ist für ihn so furchtbar, dass er sich nicht damit auseinandersetzen kann. Er verdrängt sie. Und verdrängt diese Verdrängung. Aber nicht nur das. Wenn er jetzt nur diese spezielle Erfahrung verdrängen würde, dann gäbe es für ihn immer noch viele Hinweise darauf, was er verdrängt. Immer wenn er beim Sex Probleme hat, zum Beispiel. Oder wenn er dem Täter begegnet oder auch nur seinen Namen hört. Oder jemanden trifft, der den gleichen Vornamen hat. Also muss der Mensch, um die Verdrängung aufrecht zu erhalten, auch jede gedankliche Verbindung zu der furchtbaren Erfahrung kappen. Was aber wiederum nur klappt, wenn er andere Begründungen findet, warum er z.B. Probleme beim Sex hat oder diesen einen speziellen Vornamen nicht hören will.

Verdrängung breitet sich also immer weiter aus. Und sie darf keine einzige Sekunde fehlschlagen. Wenn das zu Verdrängende auch nur einen Augenblick ins Bewusstsein kommt, dann ist sie für alle Zeiten vorbei. Das heißt: Irgendwo im Menschen ist eine Instanz, die pausenlos darüber wacht, dass ja kein Weg zum Verdrängten hinführt. Diese Instanz muss aber selbstverständlich so arbeiten, dass der Mensch nicht mal bemerkt, dass sie da ist.

Also: Verdrängung ist höchst komplex, nimmt immer mehr Platz im Leben ein, strengt enorm an und verbraucht viel Energie, die einem woanders fehlt. Es wäre gescheiter, man würde sie lassen. Geht aber nicht, weil man ja nicht bemerkt dass man es tut. Mensch sein ist nicht leicht.