Selbst? Bestimmt! – Oder nicht?

Die Selbstbestimmung ist gerade schwer in Mode. „Ich muss alles können dürfen was ich will“: Das ist der oberste Glaubensgrundsatz unserer Zeit in unserer Gesellschaft. Begründet wird das selten, und wenn dann z.B. mit Artikel 2 des Grundgesetzes. „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ steht da, sagen alle. Also darf ich mich unbegrenzt ausleben, und nichts und niemand darf mich daran hindern.

Kann man so sehen. Ist halt falsch. Und nicht nur falsch, sondern zerstörerisch und die höchste Form der Menschenverachtung.

Falsch ist diese Lebenseinstellung in zweierlei Hinsicht. Erstens: Der oben zitierte Satz aus dem Grundgesetz ist nur ein Halbsatz. Er geht noch weiter: „… soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung […] verstößt“. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein und war es ja auch mal. Wenn jeder nur sich selbst auslebt, koste es andere was es wolle, dann führt das unweigerlich zu Benachteiligung, Schädigung und Tod derer, die sich nicht so gut durchsetzen können.

Und Sie verletzen sehr schnell die Rechte anderer. Ihre Selbstbestimmung hat hier sehr enge Grenzen. Schauen Sie sich mal Ihren Alltag an. Es gibt da nur wenig, wo Sie nicht in das Leben und damit in die Rechte anderer Menschen hineinwirken.

„Ach, ich mache die Pause in der Arbeit ein bisschen länger, merkt ja keiner“: Ihr Arbeitgeber hat aber ein Recht, dass er für den gezahlten Lohn die vereinbarte Arbeitszeit von Ihnen bekommt. „Ich kaufe das T-Shirt für 5,90 € beim Discounter“: Die Kinder, die dieses T-Shirt produzierten, haben ein Recht auf Gesundheit und auf ein kindgerechtes Leben. „Freie Fahrt für freie Bürger“: Die anderen auf der Straße haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. „Ich hab keinen Bock zu lüften“: Ihr Vermieter hat ein Recht auf einen ordentlichen Zustand seines Eigentums.

Ihre Selbstbestimmung hat aber auch noch andere, sehr enge Grenzen. Diese Grenze sind Sie selbst. Selbstbestimmung heißt ja: Ich darf meine Wünsche, meine Einstellungen und Vorstellungen ausleben. Aber woher kommen diese Wünsche? Wie sind Ihre Einstellungen und Vorstellungen entstanden? Kommt das wirklich aus Ihnen? Oder sprechen da Ihre Gene, Ihre Hormone, die Erziehung durch Ihre Eltern, die Einflüsse anderer Menschen und der „Gesellschaft“ oder gar (bloß nicht!) irgendwelche Ängste oder Verletzungen aus früheren Tagen? Schauen Sie mal Ihr selbstbestimmtes Handeln an! Wie viel davon ist ausschließlich von Ihnen selbst bestimmt?

Selbstbestimmung ist wichtig, ohne Zweifel. Ein fremdbestimmtes Leben ist kein gutes Leben. Aber Selbstbestimmung für alle gibt es nur, wenn alle ihrer Selbstbestimmung Grenzen setzen. Und die meiste Zeit ist Selbstbestimmung eh mehr Wunsch und Einbildung als Realität. Also entspannen Sie sich, nehmen Sie sich selbst nicht so wichtig und lieben Sie Ihren Nächsten und dessen Selbstbestimmung!

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