Von der Würde jedes Menschen

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, lautet die wichtigste Aussage des Grundgesetzes. Unser ganzes Rechtssystem und unsere Gesellschaft gründen darauf. Heißt es zumindest. Bis jetzt.

„Menschenwürde“ – das klingt sehr abstrakt. Was bedeutet dieser Begriff? Und welche Be­deutung hat er für unser praktisches Leben?

„Würde“. Ein altes Wort. Fast schon ein veraltetes Wort. Heute zählt eher der Wert. Was aber etwas ganz anderes ist. Wie heißt es in einer Werbung: „Das und das: Soundsoviel Euro. Alles andere: unbezahlbar.“ Genau das macht etwas würdevoll: Dass es nicht in Euro zu beziffern ist, weil es etwas ganz Besonderes, Einmaliges ist, für das es keinen Gegenwert gibt.

Eben das macht die Würde eines jeden Menschen aus: Jeder Mensch ist etwas Besonderes. Denn jeder Mensch ist einmalig. Es hat ihn noch nie zuvor gegeben und es wird ihn nie mehr danach geben. Das Leben eines jeden Menschen ist einzigartig.

Darauf beruht die Würde eines jeden Menschen. Auf seiner Einmaligkeit. Auf seiner Einzig­artigkeit. Jeder Mensch hat die volle Würde, einfach weil er da ist. Deshalb hat er keinen Wert, sondern Würde.

Die Würde des Menschen hat also nichts mit irgendeinem Wert zu tun. Sie kommt nicht von bestimmten Eigenschaften des Menschen, sie ist unabhängig von Leistung und vom Wert für andere oder „die Gesellschaft“. Jeder ein­zelne Mensch ist würdevoll, weil jeder einzelne Mensch einmalig ist. Und deshalb ist diese Würde unantastbar.

Genau dies – die Würde des Menschen anzutasten – wird aber seit allen Zeiten versucht. Und nicht nur versucht, sondern durchgeführt.

Es beginnt immer damit, dass die Menschenwürde eingegrenzt wird. Als richtiger, voll-werti­ger Mensch wird man dann nur noch angesehen, wenn man über bestimmte Eigenschaften verfügt oder zu bestimmten Leistungen in der Lage ist oder einen bestimmten Wert für andere hat. Die Würde wird durch den Wert ersetzt.

Das führt dann dazu, dass Gruppen von Menschen, die diese Kriterien nicht erfüllen, als min­der-wertig angesehen werden, eben als nicht mehr „würdevoll“. Man spricht ihnen das volle Menschsein ab oder erklärt sie gleich zu Nicht-Menschen. Mit der Folge, dass sie außerhalb der menschlichen Gemeinschaft gestellt werden und man mit ihnen alles tun darf. Auch, und vor allem: töten.

So wurde in unserem Land schon einmal die Menschenwürde von bestimmten (fiktiven) ver­erbten Eigenschaften abhängig gemacht. Die deutsche Menschheit wurde aufgeteilt in voll­wertige Menschen, genannt Arier und minderwertige Menschen, genannt Juden. Und in der Folge wurden Millionen einzigartiger Leben einmaliger Menschen vernichtet.

So wird in vielen Ländern die Menschenwürde von Leistung abhängig gemacht, nämlich von erwünschtem sozialen Verhalten. Wer dem nicht entspricht und kriminell wird, dem wird die Menschenwürde aberkannt und der darf dann hingerichtet werden. Das einzigartige Leben ei­nes einmaligen Menschen darf ausgelöscht werden.

So wird nicht nur in unserem Land eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu Nicht-Menschen deklariert und als „Zellgewebe“ oder „Fötus“ oder „werdendes“ Leben bezeichnet. Was den „richtigen“ Menschen das Recht gibt, diese angeblichen Nicht-Menschen zu Millionen zu tö­ten. Zwar verbotenerweise, aber straffrei.

Doch es gilt: Der Mensch ist Mensch von Anfang an. Vom Moment der Zeugung an hat jeder Mensch die volle Menschenwürde. Und die behält er bis zum Ende seines Lebens. Unabhän­gig von seinen Eigenschaften, seiner Leistungsfähigkeit, seiner Nützlichkeit. Egal ob dieser Mensch gerade erst aus zwei Zellen besteht, ob er dement ist, im Koma liegt, ein gewissenlo­ser Vergewaltiger ist oder einfach nur woanders herkommt.

Jeder Mensch ist etwas ganz Besonderes, weil es ihn noch nie gegeben hat und ihn nie mehr geben wird. Das Leben, das er lebt, wird nie mehr gelebt werden. Das gibt jedem Menschen seine Würde.

Und das gibt jedem Menschen die Pflicht, mit jedem anderen Menschen entsprechend würde­voll umzugehen. Das heißt zunächst einmal, ihn leben zu lassen. Das heißt dann aber auch, ihm mit dem Respekt und der Achtung zu begegnen, die diesem würdevollen Menschen ge­bühren. Was wiederum bedeutet: Ich achte die Würde eines Menschen, indem ich dazu beitra­ge, dass sein Leben gelingen kann. Dieses einzige Leben, das er hat.

Glaube und Überzeugungen spielen dabei keine Rolle. Weder auf der einen Seite noch auf der anderen. Ich muss nicht an einen Gott glauben, um einem anderen Menschen Respekt und Achtung entgegenzubringen. Es reicht zu wissen, dass der andere genauso einmalig ist wie ich. Die Würde des Menschen nicht anzutasten ist eine alltägliche Aufgabe für Christen, Mos­lems, Atheisten und Angehörige jeder anderen Religion.