Der kleine Gott

Viele Menschen glauben an einen Gott. An den Vater-Gott der Christen, an Allah, an Jehova, an Jahwe oder an „irgendetwas da draußen“. Für manche ist dieser Glaube das Zentrum ihrer Existenz, für manche ist dieser Glaube nur etwas für besondere Momente. Was den meisten dieser Menschen gemeinsam ist: Sie glauben an einen kleinen Gott.

Sie singen „Großer Gott, wir loben dich“ und meinen mit „groß“: Riesig, gewaltig, noch riesiger, noch gewaltiger. Gott ist ein Super-Superman. Sie sagen „Gott liebt uns“ und meinen damit: Gott liebt uns so wie Menschen sich lieben, nur millionenfach intensiver und beständiger. Sie sprechen von einem allwissenden Gott und verstehen darunter einen Gott, der unvorstellbar schlau ist, der in jeder Quizsendung den höchsten Preis abräumen würde. Wobei man sich von dem Begriff „unvorstellbar“ genaue Vorstellungen macht.

Denn das ist das Dilemma eines jeden gläubigen (und auch ungläubigen) Menschen, dass das, wovon er da redet, alle seine Vorstellungen übersteigt, er sich aber irgendwie ja irgendwas vorstellen muss.

Nehmen wir mal an, es gibt ein Wesen (m/w/und vor allem d), das aus Nichts ein Universum erschafft. Können Sie sich „Nichts“ vorstellen? Also nicht eine große Dunkelheit, nicht tiefstes Schwarz, sondern NICHTS. Es gibt nichts zu sehen, zu hören, zu riechen – schon allein deshalb nicht, weil es Sie nicht gibt. Es ist nicht dunkel, es ist nicht hell, es ist nicht laut, es ist nicht still. Es ist nichts. Es vergeht im übrigen auch keine Zeit. Weil nichts ist, das vergehen könnte.

Und dann ist etwas. Nicht „plötzlich“, denn „plötzlich“ ist ja ein zeitlicher Vorgang. Etwas ist einfach. – Können Sie sich nicht vorstellen?

Eben.

Können Sie sich vorstellen, dass dieses Etwas einfach so aus Nichts entsteht, ohne dass das jemand verursacht? Nein? Können Sie sich vorstellen, dass es ein Wesen (m/w/d) gibt, das einfach da ist, ohne von jemandem verursacht worden zu sein, und das die Fähigkeit hat, aus Nichts Etwas zu machen, einfach so? – Können Sie sich auch nicht vorstellen?

Tja, genau das ist das Problem eines jeden gläubigen (und ungläubigen) Menschen. Alle Möglichkeiten, wie das alles hier zustande gekommen ist, sind unmöglich und unvorstellbar. Aber offensichtlich ist eine dieser unmöglichen Möglichkeiten eben doch möglich, weil es halt offensichtlich Etwas gibt.

Nun entscheiden sich viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, an ein Wesen (m/w/d) zu glauben, das alles erschaffen hat. Dieses Wesen übersteigt notwendigerweise (s.o.) jedes Verstehen und jede Vorstellung. Aber irgendwie muss man sich dieses Wesen ja vorstellen. Irgendwie muss man eine Verbindung zu diesem Wesen herstellen. Irgendwie muss man über dieses Wesen sprechen. Das alles kann zwangsläufig nur auf eine Weise geschehen, die der Mensch bewältigen kann. Was in der Praxis heißt: Er macht seinen Gott klein. Er belegt ihn mit menschlichen Begriffen und Vorstellungen, weil er halt einfach nicht anders kann.

Es gibt Menschen, die haben Gott direkt erfahren. Also nicht nur sein Handeln, sondern Gott persönlich, in direktem Kontakt. Der alte weise Mann gehört dazu. Diese Erfahrung ist immer mit Erschrecken verbunden, mit Überwältigung. Und mit der Unfähigkeit, diese Erfahrung anderen verständlich zu machen. Man versteht sie ja selbst nicht. Man kann darüber reden, oder es in Malerei oder Musik ausdrücken, aber das alles trifft das Erlebte nicht mal ansatzweise.

Gott ist nicht groß. Gott liebt uns nicht. Gott ist nicht allwissend. Gott ist anders. Völlig anders. Er ist auch anders als wir uns „anders“ vorstellen. All unsere Vorstellungen, all unsere Worte dafür sind nur unvermeidliche Versuche, das Unbegreifliche in unser Denken und Erleben zu übersetzen. Wir können nicht anders. Aber es sollte uns immer bewusst sein, dass wenn wir von „Gott“ reden und denken, wir immer – immer – an der Realität vorbeireden und vorbeidenken.

Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten. (Karl Rahner)

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