Ursache, Wirkung, Regeln

Dieser Blog ist eine Suche nach der Wahrheit, hat der alte weise Mann hier gewarnt. Es geht hier nicht nach dem Lebensmotto von Pippi Normalverbraucher „Ich mach mir die Welt, widde widde, wie sie mir gefällt“. – Ja, also dann, wie ist denn die Welt dann so? Also die real existierende Welt?

Die reale Welt funktioniert nach einem klaren Grundprinzip – dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Alles was geschieht, wird durch etwas verursacht. Und alles was geschieht, verursacht wiederum etwas anderes. Nichts geschieht „einfach so“. Und nichts bleibt wirkungslos.

Ursache und Wirkung geschehen wiederum nach bestimmten, immer gleichen Regeln. Die regeln nicht nur, was wann geschieht, sondern auch wie es geschieht. Der Mensch nennt das „Naturgesetze“.

Das alles ist sehr praktisch. Sie können sich dank der Naturgesetze und des Ursache-Wirkungsprinzips darauf verlassen, dass Ihr Bein sich heute in die gleiche Richtung mit der gleichen Geschwindigkeit und Kraft bewegt wie gestern, wenn Sie exakt die gleiche Bewegung damit ausführen. Stellen Sie sich mal eine Welt ohne Ursache-Wirkung-Naturgesetze vor. Sie würden heute plötzlich rennen wie Usain Bolt und morgen mit jedem Schritt in die Höhe sausen, weil die Gravitation sich gerade eine Auszeit nimmt. Nein, das würde nicht passieren – weil es Sie gar nicht gäbe. Weil Ihr Körper alle paar Sekunden anders funktionieren würde. Weshalb es Ihren Körper gar nicht gäbe. Weshalb es schon gar kein funktionierendes Universum gäbe.

Oder vielleicht doch. Wir können uns eine Welt ohne Ursache-Wirkung-klare Regeln-Gedöns halt einfach nicht vorstellen. Weil nun mal alles darauf aufbaut. Das Universum an sich, das Leben im Speziellen und unser Denken im besonders Speziellen. Darum werden wir auch so nervös, wenn etwas „einfach so“ geschieht. (Wobei eben nie etwas „einfach so“ geschieht. Uns fehlt nur öfter mal der Einblick in Ursache und Wirkung.) Darum suchen wir immer und überall nach Zusammenhängen, nach Mustern, nach Sinn. Darum fragen kleine Kinder schon pausenlos „Warum?“. Darum betreiben erwachsene Kinder Wissenschaft. Darum basteln sich Menschen Welt-Anschauungen.

Weil der Mensch vor allem bequem ist, müssen alle diese Zusammenhänge, Muster, Sinn-Antworten und Welt-Anschauungen nicht unbedingt richtig sein. Hauptsache, sie geben zumindest kurzfristig eine Ursache-Wirkung-Regel-Erklärung, die nicht nach fünf Minuten in sich zusammenfällt. Die Erklärung muss beruhigen, nicht erklären.

Das Ursache-Wirkung-Naturgesetze-Prinzip ist also ungeheuer praktisch und bequem, nicht nur im Alltag. Alle Wissenschaft lebt davon, dass man anhand dieses Prinzips verlässlich in die Vergangenheit zurückschauen kann und zuverlässige Berechnungen für die Zukunft anstellen kann. (Sofern man korrekte und vollständige Daten hat.) Das Ganze hat aber auch seine beunruhigenden Seiten. Denn verlässlich in die Vergangenheit und Zukunft sehen anhand der Naturgesetze heißt auch: Es ist alles von Anbeginn an festgelegt. Es stand fünf Sekunden nach dem Urknall schon fest, wie hoch die Luftfeuchtigkeit am heutigen Tag an Ihrem Wohnort sein wird.

Womit dann sehr schnell eine extrem beunruhigende Frage auftaucht: Ja, was ist dann mit dem freien Willen des Menschen? Ist dann auch seit zig Milliarden Jahren festgelegt, dass Sie jetzt exakt in diesem Moment exakt diese Worte lesen?

Dazu später mehr – sofern das Ursache-Wirkung-Regel-Prinzip dem alten weisen Mann Gelegenheit dazu gibt. Er wünscht Ihnen auf jeden Fall schon mal eine ruhige Zeit mit vielen beruhigenden Erklärungen.

Bequemlichkeit

Der Hauptantrieb eines jeden Menschen ist die Bequemlichkeit.

Wenn ein Mensch vor einer Entscheidung zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten steht, wird er immer (sofern er nicht nachdenkt) die Möglichkeit nehmen, die ihm jetzt, in diesem Augenblick weniger unange­nehm ist. Auch wenn er weiß, dass das dann später jede Menge viel unangenehmerer Folgen haben wird. „Unangenehm“ heißt: Mit Kraftaufwand in irgendeiner Form verbunden.

Die Bequemlichkeit ist jede Anstrengung wert.

Ein paar Beispiele, mit ansteigender Dramatik:

Frau Huber hat eine Lesebrille. Nachdem sie etwas gelesen hat legt sie die Brille wieder weg. Sie hat dabei zwei Möglichkeiten: a) Sie legt die Brille immer an demselben Platz ab, um sie beim nächsten Mal sicher zu finden, b) sie legt sie dort ab wo sie sich gerade aufhält.

Frau Huber wählt immer b), auch wenn sie weiß, dass sie beim nächsten Gebrauch der Brille erst mal zehn Minuten nach dieser suchen wird. Aber jetzt, in diesem Augenblick des Wegle­gens ist es angenehmer, einfach sitzen zu bleiben.

Herr Müller ist Raucher. Er weiß, dass diese Angewohnheit für ihn schwere körperliche Schä­den bis hin zu einem qualvollen Tod zur Folge haben kann. Er weiß, dass er wegen dieser An­gewohnheit schon jetzt in seiner Fitness stark eingeschränkt ist, er sich mit dem Atmen schwer tut, er zu Schweißausbrüchen neigt usw. Er weiß, dass er dank dieser Angewohnheit einen abstoßenden Körper- und Mundgeruch verbreitet. Aber jetzt, in diesem Augenblick, steht er vor zwei Handlungsmöglichkeiten: a) dem Suchtdruck nachzugeben und sich eine Zi­garette anzuzünden, b) dem Suchtdruck zu widerstehen und körperlich wieder fitter zu werden und schwere Erkrankungen zu vermeiden.

Herr Müller entscheidet sich immer wieder für a). Denn diese Alternative ist jetzt, in diesem Augenblick weniger unangenehm. b) ist mit sehr viel mentalem Energieaufwand über einen sehr langen Zeitraum verbunden. Bei a) muss er gar nichts leisten.

Frau Mayer will mit dem Fahrrad zum Einkaufen fahren. Sie weiß, dass sie ohne Helm sich schwere Verletzungen am Kopf zuziehen kann, die nicht dadurch leichter werden, dass sie ja nur eine kurze Strecke gefahren ist. Sie hat zwei Alternativen: a) ohne Helm zu fahren, b) einen Helm aufzusetzen. Frau Mayer entscheidet sich für a), denn das bewahrt sie jetzt, in die­sem Augenblick davor, den Helm aus dem Keller holen zu müssen und sich die Frisur helm­gerecht ordnen zu müssen. Die schwere Kopfverletzung kann ihr ja erst in fünf Minuten zu­stoßen. Das ist jetzt, in diesem Augenblick, also kein Entscheidungskriterium.

Herr Schmidt wird von seinem Kind geärgert. Er hat zwei Möglichkeiten: a) seinen aufschäu­menden Gefühlen nachzugeben und sein Kind anzubrüllen, b) die Gefühle zuzulassen, ohne ihnen nachzugeben und seinem Kind sachlich und bestimmt mitzuteilen, dass es ihn gerade verletzt hat.

Herr Schmidt brüllt sein Kind an, denn das erfordert keinen inneren Widerstand, verbraucht also weniger Energie. Dass das Kind dadurch auch aggressiv wird und die Konfrontation ein paar Minuten später noch heftiger wird, zählt jetzt, in diesem Augenblick nicht.

Frau Bäcker leidet an Depressionen. Ihr Leben ist stark eingeschränkt durch dieses Leiden, sie zerbricht fast daran. Aber gleichzeitig wehrt sie sich mit Händen und Füßen gegen eine Hei­lung. Denn Heilung würde den Aufbruch in ein neues Leben bedeuten. Ein glückliches, heiles Leben – aber eben auch ein neues und damit unbekanntes Leben. Unbekanntes macht Angst, und deshalb ist es jetzt, in diesem Moment weniger unangenehm, an der bekannten, vertrauten Krankheit festzuhalten.

So läuft das immer, in 100 % aller Fälle, wenn Menschen handeln, ohne nachzudenken. Das ist der Grund, warum Menschen sich ihr Leben schwer machen, sich gegenseitig Leid zufü­gen, nicht aus zerstörerischen Gewohnheiten herausfinden, krank bleiben, sich zu Dingen ma­nipulieren lassen, die sie eigentlich nicht wollen.

Diese Lebenshaltung hat – wie gesagt – jeder Mensch verinnerlicht. Sie ist ja grundsätzlich auch (über)lebensnotwendig. Man kann nicht jede noch so kleine Handlung auf ihre langfristi­gen Auswirkungen hin überdenken. Man käme mit lauter Planen und Vorausdenken nicht mehr zum Leben. Es geht gar nicht anders als dass man den größten Teil seines Daseins aus dem Augenblick heraus lebt.

Aber diese Lebenshaltung hat halt ständig auch negative, schädliche Folgen. Schädlich für mich und für andere um mich herum. – Nur, wie entkommt man dieser Grundhaltung der Be­quemlichkeit?

Ganz ablegen kann die kein Mensch. Siehe zwei Abschnitte weiter oben. Oft ist es auch gar nicht nötig, weil die Folgen dieser Haltung zwar negativ sind, aber harmlos bleiben. Frau Hu­ber geht halt als Schussel durch die Welt und verbringt einen Teil ihres Lebens mit dem Su­chen nach ihrer Brille. Na und?

Doch gelegentlich hat diese Grundhaltung der Bequemlichkeit verheerende Auswirkungen. Sie führt zu Krankheit, hält Menschen in Krankheiten, zerstört Beziehungen, endet tödlich. Und es gibt immer wieder Menschen, die deshalb aus dieser Haltung herausfinden. Allerdings meistens erst, wenn das Leid so groß geworden ist, dass das Beibehalten der schädlichen Gewohnheit in jedem Augenblick die anstrengendere Alternative wird. Also wenn die Änderung weniger unangenehm wird als das Weitermachen. Was in den meisten Fällen bedeutet: Der Mensch ändert sich erst wenn er ganz unten ist.

Herr Müller wird erst zu Alternative b) (Rauchen aufhören) greifen, wenn a) (Weiterrauchen) unangenehmer, anstrengender als b) wird. Sprich: Wenn der Krebs ausgebrochen ist.

Frau Mayer wird erst einen Helm aufsetzen, wenn sie nach einem Schädelbruch längere Zeit im Krankenhaus lag.

Herr Schmidt wird seinen Gefühlen erst dann nicht mehr freien Lauf lassen, wenn sein ständig angebrülltes Kind den Kontakt mit ihm verweigert.

Frau Bäcker wird sich erst von der Depression lösen wenn sie vor dem Suizid steht und diesen überlebt.

So läuft es meistens. Viele Menschen schaffen es aber schon die Kurve zu kriegen bevor sie ganz unten sind. – Wie die das machen? – Sie denken nach. Oder besser gesagt: Sie denken vor. Sie kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie über den Augenblick hinaus denken und langfristig denken. An dem sie die gesamten Auswirkungen der anstehenden Handlungs­möglichkeiten anschauen, nicht nur die unmittelbaren, jetzt im Moment.

Und manchmal – nicht immer – ändern sich diese Menschen dann, ohne dass sie erst ganz un­ten ankommen müssen.

Erstaunlich, wozu der Mensch in der Lage ist.