Gebet

Statt alter weiser Lebensbetrachtungen heute mal ein Gebet:

Gott. Du bist anstrengend. Um ehrlich zu sein: Manchmal nervst du. Ich habe tausend Fragen an dich. Manchmal bekomme ich eine Antwort. Aber die führt dann nur zu einem Dutzend neuer Fragen. Die meiste Zeit kommt von dir nur dieselbe Antwort, die du dem fragenden und klagenden Hiob gegeben hast: „Halt die Klappe und vertrau mir!“

Gelegentlich regst du mich auf mit dieser Antwort. Wenn du mich schon so geschaffen hast wie ich bin, dann wäre es schon ganz anständig von dir, mich mit mir nicht so allein zu lassen. Denke ich mir dann. Aber meistens denke ich mir grummelnd: „Na, dann vertraue ich dir halt!“ Und dann wird es gut. Friede kehrt ein in mir. Und Freude. Eierkuchen eher nicht.

Bis zur nächsten Frage. – Gott, du bist anstrengend. Aber ich kann nicht anders als dir zu vertrauen, an dich zu glauben. Du bist alternativlos.

Amen.

Der kleine Gott

Viele Menschen glauben an einen Gott. An den Vater-Gott der Christen, an Allah, an Jehova, an Jahwe oder an „irgendetwas da draußen“. Für manche ist dieser Glaube das Zentrum ihrer Existenz, für manche ist dieser Glaube nur etwas für besondere Momente. Was den meisten dieser Menschen gemeinsam ist: Sie glauben an einen kleinen Gott.

Sie singen „Großer Gott, wir loben dich“ und meinen mit „groß“: Riesig, gewaltig, noch riesiger, noch gewaltiger. Gott ist ein Super-Superman. Sie sagen „Gott liebt uns“ und meinen damit: Gott liebt uns so wie Menschen sich lieben, nur millionenfach intensiver und beständiger. Sie sprechen von einem allwissenden Gott und verstehen darunter einen Gott, der unvorstellbar schlau ist, der in jeder Quizsendung den höchsten Preis abräumen würde. Wobei man sich von dem Begriff „unvorstellbar“ genaue Vorstellungen macht.

Denn das ist das Dilemma eines jeden gläubigen (und auch ungläubigen) Menschen, dass das, wovon er da redet, alle seine Vorstellungen übersteigt, er sich aber irgendwie ja irgendwas vorstellen muss.

Nehmen wir mal an, es gibt ein Wesen (m/w/und vor allem d), das aus Nichts ein Universum erschafft. Können Sie sich „Nichts“ vorstellen? Also nicht eine große Dunkelheit, nicht tiefstes Schwarz, sondern NICHTS. Es gibt nichts zu sehen, zu hören, zu riechen – schon allein deshalb nicht, weil es Sie nicht gibt. Es ist nicht dunkel, es ist nicht hell, es ist nicht laut, es ist nicht still. Es ist nichts. Es vergeht im übrigen auch keine Zeit. Weil nichts ist, das vergehen könnte.

Und dann ist etwas. Nicht „plötzlich“, denn „plötzlich“ ist ja ein zeitlicher Vorgang. Etwas ist einfach. – Können Sie sich nicht vorstellen?

Eben.

Können Sie sich vorstellen, dass dieses Etwas einfach so aus Nichts entsteht, ohne dass das jemand verursacht? Nein? Können Sie sich vorstellen, dass es ein Wesen (m/w/d) gibt, das einfach da ist, ohne von jemandem verursacht worden zu sein, und das die Fähigkeit hat, aus Nichts Etwas zu machen, einfach so? – Können Sie sich auch nicht vorstellen?

Tja, genau das ist das Problem eines jeden gläubigen (und ungläubigen) Menschen. Alle Möglichkeiten, wie das alles hier zustande gekommen ist, sind unmöglich und unvorstellbar. Aber offensichtlich ist eine dieser unmöglichen Möglichkeiten eben doch möglich, weil es halt offensichtlich Etwas gibt.

Nun entscheiden sich viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, an ein Wesen (m/w/d) zu glauben, das alles erschaffen hat. Dieses Wesen übersteigt notwendigerweise (s.o.) jedes Verstehen und jede Vorstellung. Aber irgendwie muss man sich dieses Wesen ja vorstellen. Irgendwie muss man eine Verbindung zu diesem Wesen herstellen. Irgendwie muss man über dieses Wesen sprechen. Das alles kann zwangsläufig nur auf eine Weise geschehen, die der Mensch bewältigen kann. Was in der Praxis heißt: Er macht seinen Gott klein. Er belegt ihn mit menschlichen Begriffen und Vorstellungen, weil er halt einfach nicht anders kann.

Es gibt Menschen, die haben Gott direkt erfahren. Also nicht nur sein Handeln, sondern Gott persönlich, in direktem Kontakt. Der alte weise Mann gehört dazu. Diese Erfahrung ist immer mit Erschrecken verbunden, mit Überwältigung. Und mit der Unfähigkeit, diese Erfahrung anderen verständlich zu machen. Man versteht sie ja selbst nicht. Man kann darüber reden, oder es in Malerei oder Musik ausdrücken, aber das alles trifft das Erlebte nicht mal ansatzweise.

Gott ist nicht groß. Gott liebt uns nicht. Gott ist nicht allwissend. Gott ist anders. Völlig anders. Er ist auch anders als wir uns „anders“ vorstellen. All unsere Vorstellungen, all unsere Worte dafür sind nur unvermeidliche Versuche, das Unbegreifliche in unser Denken und Erleben zu übersetzen. Wir können nicht anders. Aber es sollte uns immer bewusst sein, dass wenn wir von „Gott“ reden und denken, wir immer – immer – an der Realität vorbeireden und vorbeidenken.

Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten. (Karl Rahner)

Das ist nicht gerecht!

Frau Huber ist ein durch und durch liebenswürdiger Mensch. Sie lebt vernünftig, achtet auf sich und andere, ernährt sich gesund. Mit Mitte dreißig stirbt sie an Krebs. – „Das ist ungerecht!“, sagen Sie?

Herr Maier ist ein Kotzbrocken, den niemand mag. Er mag auch niemanden. Er raucht und säuft und frisst Junkfood in sich rein. Er stirbt mit 102 Jahren an Altersschwäche. – „Das ist ja noch ungerechter!“, sagen Sie?

Recht haben Sie. Das Leben ist ungerecht. Was hauptsächlich daran liegt, dass „das Leben“, also das Universum und alles was sich darin befindet, ein Ablauf von Vorgängen ist, die nach festgelegten Regeln so ablaufen, wie sie ablaufen. Das ist weder gut noch böse, weder schön noch hässlich, weder gerecht noch ungerecht. Es passiert einfach.

„Die Natur“ ist nicht gerecht. Sie ist auch nicht ungerecht. Sie naturiert vor sich hin ohne Absichten und ohne Ziel.

„Gerechtigkeit“ ist nicht natürlich. Sie ist etwas, was die Menschen erfunden haben, um ihr Zusammenleben zu regeln. Eine ungerechte Gesellschaft zerbricht irgendwann an dieser Ungerechtigkeit. Das dauert manchmal, aber es geschieht unweigerlich. Eine Gesellschaft (egal ob im Großen wie ein Staat oder im Kleinen wie z.B. eine Familie) überlebt in dieser Verfassung nur, wenn sich zumindest die meisten der Beteiligten zumindest um Gerechtigkeit bemühen.

Von Ihren Mitmenschen können Sie Gerechtigkeit erwarten. Vom Rest des Universums nicht.

„Und was ist mit Gott?“, fragen Sie – sofern Sie an einen Gott glauben. Nun, Gott ist auch nicht gerecht. Er ist auch nicht ungerecht. Gott hat keine Eigenschaften. Gott ist. Punkt. Alles was Menschen über Gott sagen, sagt nichts über Gott aus. Es sagt nur etwas darüber aus, wie Menschen Gott wahrnehmen. Es sind alles nur menschliche Beschreibungen von etwas, das man nicht beschreiben kann. Es sind unausdrückbare Erfahrungen, die auf menschliche Worte, Gedanken, Hoffnungen und Ängste treffen.

Deshalb erwarten Menschen von ihrem jeweiligen Gott auch Gerechtigkeit. Weil sie das von ihren Mitmenschen erwarten. Also muss Gott auch so sein.

Ist er aber nicht. Gott ist. Punkt.

Der alte weise Mann glaubt an Gott. Seine Erfahrung mit diesem Gott ist: Er ist nicht gerecht. Er ist gnädig. Wobei „gnädig“ auch nur eine menschliche Beschreibung von etwas Unbeschreiblichem ist. Der alte weise Mann wird in einem späteren Artikel daran scheitern, etwas über dieses Unsagbare zu sagen.

Das Buch fürs Leben

In einem früheren Artikel hat der alte weise Mann über die Bibel geschrieben. Die Aussage: Die Bibel ist kein theoretisches Lehrbuch, sie ist ein Buch für das praktische Leben. Das ist sie deshalb, weil sie kein Buch über Gott ist, sondern ein Buch über Erfahrungen, die Menschen mit Gott machen.

Was heißt das nun für unseren Umgang mit diesem besonderen Buch? Wie sollen wir die Bibel lesen?

Da gibt es ja verschiedene Ansätze. Zugang Nr. 1 zur Bibel: Die Bibel als Rezeptsammlung. Die Vorstellung dahinter: Ich finde in der Bibel zu jeder Frage, zu jedem Problem ein Rezept. Man nehme eine Prise aus dem Markus-Evangelium, mische zwei Sätze aus dem Buch Micha darunter, füge einen Abschnitt aus den Psalmen dazu, lasse das Ganze mit einer guten Portion eigener Gedanken aufgehen und  dann auf höchster Flamme hochkochen. – Das Ergebnis sieht dann oft lecker aus, ist aber immer ungenießbar und meist hochgiftig.

Zugang Nr. 2: Die Bibel als Telefonbuch. Die Vorstellung dahinter: Die Bibel ist ein einheitliches Ganzes, alle Teile sind aus demselben Gedanken, mit derselben Zielrichtung gestaltet. Deshalb ist die Bibel unabhängig von Zeit und Raum und Person für jede/n gleich zu verstehen. Es gibt nur eine gültige Interpretation bzw. man muss überhaupt nichts interpretieren.  So wie es dasteht, so gilt es. – Eine angenehme Vorstellung, die leider in keinem einzigen Fall funktioniert.

Zugang Nr. 3: Die Bibel als historischer Bericht. Die Vorstellung dahinter: Die Bibel berichtet objektiv und sachlich das was tatsächlich so geschehen ist. Es geht darum, Fakten zu begreifen. Denn: Wissen = Glauben. – Das Leben wäre leichter, wenn es so wäre. Ist es aber nicht. Glauben ist mehr als Wissen. Die Bibel ist mehr als ein Geschichtswerk.

Die Bibel ist eine Sammlung von Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt haben. Und weil Menschen sehr unterschiedlich sind, sind auch diese Geschichten sehr unterschiedlich. Es gibt Erzählungen über diese Erfahrungen, es gibt Gebete zu diesem Gott, es gibt eher abstrakte Reflexionen über diese Erfahrungen, es gibt praktische Tipps für das Leben mit Gott, es gibt Texte des Zweifels und der Verzweiflung, es gibt Liebesgedichte und bittere Vorwürfe und und und …

Nicht nur die Verfasser der Bibel waren äußerst unterschiedlich. Auch die Leser/innen waren und sind es. Deshalb nimmt auch jede/r diese Texte ganz individuell auf. Herr A ist von einem Text total überwältigt und ändert dadurch sein Leben. Frau B ist vom selben Text leicht verstört und liest ihn nie wieder. Das gilt auch für die Gesamtheit der Christen im Laufe der Zeit. Die Offenbarung zum Beispiel war im Mittelalter eines der zentralen Bücher der Bibel. Heute fristet sie eine Randexistenz. Dafür sind seit Luther die Paulus-Briefe wichtig, die davor kaum interessiert haben.

Die Bibel ist also ein individuelles Buch, für das jeder Mensch seinen eigenen Zugang finden muss. Was aber bei aller Indivualität für alle gilt: Man findet nur einen Zugang, wenn man bereit ist, sich von diesem Buch ansprechen zu lassen. Das heißt konkret: Ich muss bereit sein, auf dem Weg über dieses Buch selbst meine Erfahrungen mit Gott zu machen. Ohne bestimmte Erwartungen, was bei der Lektüre passieren muss. Ohne die Vorstellung, sofort zu jeder Frage das passende Antwortrezept zu erhalten. Und ohne die Vorstellung, ich könnte mit Hilfe der Bibel Gott näher kommen, ohne mich persönlich einbringen zu müssen.

Die Bibel ist ein Buch für das Leben. Nur aus diesem Blickwinkel erwacht Sie auch für Sie zum Leben. Ansonsten bleibt sie tot.

Gott Macht

In einem früheren Artikel hat der alte weise Mann über den Sinn des Lebens geschrieben. Er hat versprochen, später darüber zu schreiben, was das alles für das konkrete Leben bedeutet. Nun denn, dieses Versprechen wird hiermit eingelöst.

Der Sinn des Lebens ist es, in Gott zu sein, hat der alte weise Mann gesagt. Was heißt das jetzt konkret? Was bedeutet „In Gott sein“ für mein Leben?

Das bedeutet: Gott machen lassen.
Dieser Gott hat schließlich alles gemacht. Das ganze Universum, Sie, mich. Er hat das nicht nur irgendwann mal begonnen und es sich dann sich selbst überlassen. Er hält alles am Laufen. Von ihm hängt alles ab. Er braucht nur mit seinen metaphysischen Fingern zu schnippen und es hat Sie nie gegeben. Nicht nur, dass Sie plötzlich weg sind. Sie haben nie existiert. Denn Gott steht auch über der Zeit. Schließlich hat er ja auch die Zeit geschaffen.

Gott ist alles. Und ich habe nur einen sehr extrem winzigen unscheinbaren minimalen Einblick in dieses „Alles“. Ich verstehe ja mich selbst kaum. Im Gegensatz zu Gott, der mich durch und durch kennt. Und dieser Gott, der alles ist, ist kein kühler, ferner, gleichgültiger Gott. Er ist das, was wir mit unserem begrenzten Verstand „Liebe“ nennen. Alles, was er gemacht hat, war „gut“. Und er will, dass es gut bleibt.
Deshalb kann ich mich diesem Gott anvertrauen. Diesem Gott, der alles gemacht hat und der alles gut haben will. Ich vertraue mich diesem Gott an, weil alles andere ziemlich blöd wäre. Weil alles andere scheitert. Wenn ich ausschließlich auf mich vertraue, oder auf andere Menschen, oder auf Macht, Wohlstand, Sicherheit, dann kann ich kurzfristig damit erfolgreich sein. Sogar bis ans Ende meines Lebens, sofern ich rechtzeitig genug sterbe, bevor der Zusammenbruch kommt. Denn der Zusammenbruch kommt zwangsläufig. Wenn ich auf anderes als Gott vertraue, dann kann ich Erfolg haben, reich werden, angesehen und beliebt sein. Aber glücklich werde ich nicht. Und – noch mehr: Ich mache niemanden glücklich.

Deshalb heißt „In Gott sein“: Gott entscheiden lassen, Gott machen lassen. Denn Gott ist der einzige, der wirklich Macht hat. Dem die Macht nicht von irgendjemandem gegeben wurde, der niemand braucht um mächtig zu sein. Der niemand braucht, weil er an keine Regeln, an keine Ursache und keine Wirkung gebunden ist und daher völlig frei ist in allem. Gott ist die reine, uneingeschränkte Macht. Und ich bin vollkommen abhängig von ihm, ich bin absolut machtlos. Darum ist es das einzig Sinnvolle, auf meine ohnehin nicht vorhandene Macht zu verzichten und mich ganz und gar Gottes Macht anzuvertrauen.

Das bedeutet aber nicht, dass ich mich aufgebe. Ich muss weiterhin selbst mein Leben leben. Ich darf und soll das sogar. Ich mache mir weiterhin selbständig Gedanken, ich entscheide weiterhin, ich lebe diese Entscheidungen, ich bleibe ich. Doch all das mache ich in dem Bewusstsein,  das ich nichts davon allein aus mir selbst vollbringen kann. Deshalb bringe ich alles, mein ganzes Leben (und das Leben aller Menschen, die ich wiederum beeinflusse) im Gebet vor Gott und sage immer wieder: „Mach mal, Boss!“ Und der Boss macht dann. Und ich mache mit.

Das ist Sinn-voll.

Ein Sinn-loser Text

Unser Leben ist Sinn-los. Nicht sinnlos, aber Sinn-los. Denn unabhängig davon, ob am Anfang des Lebens, des Universums und allem Gott steht oder Nichts: Dort am Anfang endet auf jeden Fall die Frage nach dem Sinn. Am Anfang ist einfach etwas – eben Gott oder Nichts. Egal was es ist: Es hat keinen Ursprung, keinen Grund und damit keinen Sinn.

Der alte weise Mann glaubt – weiß -, dass am Anfang Gott steht. Der Gott, den Jesus verkündet hat. Dieser Gott ist Sinn-los. Denn dieser Gott ist. Er ist noch bevor es die Zeit gab. Bei ihm gibt es kein Davor, kein Jetzt und kein Danach. Bei ihm gibt es deshalb auch keine Ursache und keine Wirkung. Und deshalb muss er auch nichts tun. Es gibt nichts, was seinen freien Willen ein­schränkt und deshalb in irgendeine Richtung lenken würde. Es gibt keinen Grund, weshalb er ist und weshalb er so ist wie er ist. Dieser Gott hat keinen Sinn.

Aber dieser Gott gibt Sinn. Er gibt unserem Leben Sinn.

Dieser Sinn kommt von der erstaunlichsten Tatsache in diesem Universum: Die Tatsache, dass es dieses Universum überhaupt gibt. Es wäre wesentlich einfacher, naheliegender und natürlicher, dass es Nichts gibt. Für Nichts braucht es keinen Grund, keine Begründung, keine Regeln. Nichts wäre von jeder Logik her der Normalzustand. Die bloße Existenz dieser Welt macht alles kompliziert. Alle Fragen ergeben sich nur daraus, dass das Universum existiert.

Der alte weise Mann glaubt/weiß, dass Gott dieses Universum geschaffen hat. Dieser Gott, für den es keine Ursache gibt. Der einfach ist. Er musste das alles nicht tun. Es gab keinen Grund dafür. Die Erschaffung der Welt war Sinn-los.

Genau das ist es jedoch, was unserem Leben Sinn gibt. Klingt widersinnig, und ist es auch.

Wir leben weil Gott uns erschaffen hat. Wie gesagt, er musste das nicht tun. Er musste auch nicht genau Sie oder genau Ihren Nachbarn erschaffen. Das Ganze war aber auch keine Willkür. Denn bei Gott gibt es nicht das Gesetz von Ursache und Wirkung. Ursache und Wirkung sind an Zeit gebunden; und bei Gott gibt es keine Zeit. Deshalb muss Gott auch nicht verschiedene Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abwägen und dann Entscheidun­gen treffen. Bei ihm ist alles eins. Deshalb muss er nichts tun, deshalb macht er aber auch nicht etwas einfach so. Gott macht. Weil Gott ist. Punkt.

Das ist bei uns Menschen anders. So anders, dass wir wenig bis gar keine Worte dafür haben wie Gott ist und handelt. Wir brauchen Grundlagen für unsere Entscheidungen. Wir können uns nicht von diesem Leben aus Ursache und Wirkung lösen. Genau deshalb verstört es uns ja auch so, wenn etwas „einfach so“ geschieht. Mit Zufällen können wir nicht leben. Das hal­ten wir nicht aus. Wir brauchen Zusammenhänge, wir brauchen Sinn. Aus diesem Grund un­terstellen dann auch Menschen, die an einen Gott glauben, diesem Gott irgendwelche Motive für sein Handeln und Nicht-Handeln. Aber das ist die menschliche Sicht. Gott hat keine Moti­ve, Gott ist aber auch nicht willkürlich. Gott ist.

Und so hat Gott dadurch dass er diese Welt erschaffen hat, ihr den Sinn gegeben. Dadurch hat Gott Ihnen und mir Sinn gegeben. Er hat Sie und den Rest der Menschheit gemacht, und unser Sinn ist es, zu sein. In dem zu sein, der uns den Sinn gibt. In Gott zu sein und Gott in uns sein zu lassen. Nicht nur ein bisschen. Nicht nur in bestimmten Bereichen. Sondern „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“, wie es im Glaubensbekenntnis der Juden heißt.

Gott ist. Und deshalb ist unser Sinn, ebenfalls zu sein. In Gott zu sein. Denn Gott hat keinen Sinn. Gott ist der Sinn.

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Und was heißt das jetzt konkret? Was bedeutet „In Gott sein“ für mein Leben? Mehr dazu in diesem Artikel!

Er

Vieles von dem was Christen glauben findet auch bei Anhängern anderer Weltanschauungen Zustimmung. Nächstenliebe zum Beispiel. Oder die christlichen Werte – was immer auch damit gemeint ist. Das alles ist ja wertvoll für „Die Gesellschaft“ und muss deshalb auch bewahrt werden. Oder man kann es zumindest mitleidig lächelnd tolerieren. Aber bei einem Thema scheiden sich die Geister. Das heißt, es ist eigentlich kein Thema. Es ist ein Jemand. Es ist Er. Jesus.

Jesus spaltet. Wahrscheinlich auch Sie, liebe Leser (m/w/d). Als Sie eben eine Zeile weiter oben diesen Namen lasen, haben Sie vermutlich eine von zwei Reaktionen gezeigt: Sie haben laut und freudig zugestimmt oder stöhnend die Augen verdreht. Sie stimmen freudig zu, weil auch für Sie dieser Jesus das Zentrum Ihres Glaubens ist und somit das Zentrum Ihres Lebens. Sie verdrehen die Augen, weil Sie diesen Anspruch völlig überzogen finden.

Mit letzterer Reaktion haben Sie auch recht. Der alte weise Mann richtet sein Leben an diesem Jesus aus, aber er erschrickt regelmäßig über seinen eigenen Glauben. Übertragen wir das Ganze mal in unsere Zeit: Da ist ein Mensch, nennen wir ihn Karlheinz Meier. Der lebt dreißig Jahre lang relativ unauffällig. Dann beginnt er in einem überschaubaren Radius um sein Heimatdorf umherzuziehen und bemerkenswerte Dinge über Gott von sich zu geben. Außerdem heilt er körperlich und psychisch Kranke. Karlheinz Meier gewinnt viele Follower, aber er eckt mit seiner Botschaft auch an. Schließlich wird er von feindlich gesinnten Hasspredigern getötet. Drei Tage später lebt er aber wieder und verschwindet vierzig Tage danach aus dieser Welt in vermutlich eine andere. Außer in einem Umkreis von 100 km um sein Dorf hat keiner was von dem Ganzen mitbekommen. Ein paar Jahrzehnte später glauben aber Millionen Menschen an Karlheinz Meier und bekennen: Er ist Gott, der Mensch geworden ist.

Nicht zu glauben, oder? Tja, doch zu glauben. Der alte weise Mann kann aus einem halben Jahrhundert Leben mit Karlhei… äh Jesus bestätigen: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Nicht weil es dem alten weisen Mann gut tut oder ihm bei der Lebensbewältigung hilft (das auch), sondern weil es so ist. Weil er immer wieder verstört vor seinem eigenen Glauben zusammenzuckt, aber am Ende immer wieder zum selben Ergebnis kommt: Er kann nicht anders als an Jesus zu glauben. Weil es wahr ist.

Mehr dazu im nächsten Artikel. Bis dahin entlässt Sie der alte weise Mann in freudige Erregung oder missbilligendem Augenbrauenhochziehen.

Ins Buch geschaut

Christen haben zwei Grundlagen für ihren Glauben: Die Bibel und persönliche Erfahrung. Was erstere angeht: Da hält sich hartnäckig die Ansicht, dass die Bibel von Gott handelt. Das ist nicht ganz verkehrt, ist aber auch nicht ganz richtig. Richtig ist: Die Bibel handelt davon, wie Menschen Gott erfahren.

Denn über Gott selbst lässt sich nichts sagen. Gott ist anders. Nicht nur ein bisschen anders, so wie Sie sich zum Beispiel von Ihrer Nachbarin unterscheiden. Gott ist komplett völlig total anders. Er ist unbegreifbar, unvorstellbar. Alles was man über Gott sagt, geht an seiner Realität vorbei. (Mit Sicherheit auch der eben gesagte Satz.)

Aber Menschen können Gott erfahren, diesen unfassbaren, unverstehbaren Gott. Weil sich Gott erfahrbar macht. So können Menschen nicht nur glauben, sondern wissen dass es Gott gibt, und sein Wesen kennenlernen. Das aber immer noch jeden Verstand und jede Art der menschlichen Auffassung übersteigt. Was zu einer Spannung führt, die sehr schwer auszuhalten ist. Weshalb immer die Versuchung da ist, diesen Gott zu vermenschlichen. Ihn aus der Unbegreifbarkeit herauszuholen und ihn zu einer Art Super-Superman zu machen. Einem Über-Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, den man aber begreifen kann, den man im eigenen Sinn lenken und beeinflussen kann.

Sobald das aber geschieht, verliert man diesen Gott. Der Satz „Ich habe Gott verstanden“ ist ein sicherer Hinweis darauf, dass man nicht an Gott glaubt.

Genau von dieser Spannung handelt die Bibel. Deshalb heißt es „Du sollst dir kein Bild, keine Vorstellung von Gott machen.“ Deshalb antwortet Gott auf die Frage von Mose, wer er denn sei, mit „Jahwe“ – auf Deutsch: „Ich bin“. Mehr kann man nicht sagen über Gott. Deshalb geht es in der ganzen Bibel vom Anfang der Schöpfung bis zum Ende in der Offenbarung um eines: „Gott ist der Chef. Und das nicht nur ein bisschen, sondern ganz und gar.“

Insofern ist es richtig dass die Bibel von Gott handelt. Aber Gott lässt sich nicht in Worte fassen. Der Ausdruck „Chef“ im obigen Absatz ist ja auch schon wieder eine Vermenschlichung, um das Unfassbare fassbar zu machen. Anders geht es halt nicht. Aus diesem Grund können Menschen, wenn sie von Gott sprechen, immer nur davon sprechen, wie sie ihn erfahren. Und von eben diesen Erfahrungen handelt die Bibel. Sie ist kein theoretisches Lehrbuch, sie ist ein lebenspraktisches Buch, ein Buch über gelebten Glauben.

Was heißt das nun über den Umgang mit der Bibel? Mehr dazu in diesem Artikel.

Der alte weise Mann glaubt

Jedes Reden über Gott ist eine Themaverfehlung, hat der alte weise Mann geschrieben. Derselbe alte weise Mann, der einen ganzen Blog mit Reden über Gott betreibt. – Ja, richtig, dieser Blog ist eine einzige Themaverfehlung. Über Gott lässt sich nichts sagen.

Aber Gott lässt sich erfahren. Dieser Gott, der völlig komplett total anders ist, den kein Mensch auch nur ansatzweise begreift, dieser Gott wird so menschlich, dass Menschen ihn erfahren können. Sie verstehen ihn dann zwar immer noch nicht, aber sie glauben. Sie glauben, weil sie nicht anders können angesichts dieser Erfahrung.

Der alte weise Mann glaubt an Gott, an diesen Gott, den Jesus verkündet hat. Er glaubt, weil er weiß. Er weiß, weil er Gott erfahren hat. Der alte weise Mann hat nicht nur das Wirken Gottes erfahren, er hat Gott selbst erlebt. Körperlich, im Kampf, im Ansehen. Der alte weise Mann versteht immer noch nichts. Aber er kann nicht anders als zu glauben an diesen unbegreiflichen Gott. Und aus ihm zu leben und von ihm zu reden. Und dabei immer wieder das Thema zu verfehlen.

Reden ohne zu verstehen

Die meisten Menschen reden von Gott als ob sie eine Ahnung hätten. Das gilt auch für Atheisten. Das ist überhaupt unabhängig von der Religion.

Die Wahrheit ist: Kein Mensch hat eine Ahnung, wenn es um Gott geht. Null. Absolut kein Hauch einer Spur von Ahnung.

Gott übersteigt menschliches Verstehen. Wenn es jemanden gibt, der das alles hier aus nichts erschaffen kann, dann muss er mehr sein als nur ein menschlicher Superstar mit übernatürlichen Fähigkeiten. Dann ist er ganz anders. Nicht größer, nicht gewaltiger, nicht klüger als der Mensch. Anders. Komplett anders.

„Komplett anders“ heißt in der Praxis: Es gibt nichts in dieser Welt, was Gott ähnlich ist. Es gibt nichts in dieser Welt, aus dem wir darauf schließen könnten, wie Gott ist.

Es gibt übrigens auch nichts in dieser Welt, aus dem wir schließen könnten, dass es Gott nicht gibt. Wir können allein aus unserem eigenen Vermögen nichts über Gott oder Nicht-Gott sagen. Rein gar nichts.

Und trotzdem reden Menschen von Gott oder Nicht-Gott, als ob sie eine Ahnung hätten. Weil sie es nicht aushalten, in einem kalten uninteressierten Universum zu leben. Oder von etwas geschaffen worden zu sein, das sie nie verstehen werden. Und dann auch noch vollständig abhängig zu sein davon. Darum machen sie sich einen Gott oder Nicht-Gott, den sie verstehen und den sie dann im besten Fall auch beherrschen können. Das ist der eigentliche Zweck von Gebeten, Opfern, Gelöbnissen: Ich gebe dir, Gott, etwas, und damit habe ich einen Anspruch darauf, dass du nach meinen Vorstellungen funktionierst.

Das ist auch der eigentliche Zweck von Wissenschaft: Ich ringe dem kalten uninteressierten Universum seine Geheimnisse ab, um es dann zu beherrschen, damit es nach meinen Wünschen läuft.

Dummerweise klappt beides nicht. Wissenschaft verbessert zwar im günstigsten Fall das Leben vieler Menschen auf Kosten weniger Menschen und sonstiger Lebewesen. Aber mit jeder gefundenen Antwort tauchen hundert neue Fragen auf. Es wird nie ein Ende geben. Wirklich verstehen und beherrschen werden wir das Universum nie. Wir verstehen und beherrschen ja nicht einmal uns selber.

Und Gott lässt sich sowieso nie verstehen, geschweige denn beherrschen. Deshalb ist jedes Reden über Gott eine Themaverfehlung. Wir haben alle keine Ahnung. Weder von Gott noch von Nicht-Gott. Darum: Entspannt euch alle! Ihr seid alle gleich dumm. Es ist also sinnlos, sich gegenseitig Stress zu machen, weil jeder auf eine andere Weise diese Ahnungslosigkeit verdrängt.

Später dazu mehr.