Das Buch fürs Leben

In einem früheren Artikel hat der alte weise Mann über die Bibel geschrieben. Die Aussage: Die Bibel ist kein theoretisches Lehrbuch, sie ist ein Buch für das praktische Leben. Das ist sie deshalb, weil sie kein Buch über Gott ist, sondern ein Buch über Erfahrungen, die Menschen mit Gott machen.

Was heißt das nun für unseren Umgang mit diesem besonderen Buch? Wie sollen wir die Bibel lesen?

Da gibt es ja verschiedene Ansätze. Zugang Nr. 1 zur Bibel: Die Bibel als Rezeptsammlung. Die Vorstellung dahinter: Ich finde in der Bibel zu jeder Frage, zu jedem Problem ein Rezept. Man nehme eine Prise aus dem Markus-Evangelium, mische zwei Sätze aus dem Buch Micha darunter, füge einen Abschnitt aus den Psalmen dazu, lasse das Ganze mit einer guten Portion eigener Gedanken aufgehen und  dann auf höchster Flamme hochkochen. – Das Ergebnis sieht dann oft lecker aus, ist aber immer ungenießbar und meist hochgiftig.

Zugang Nr. 2: Die Bibel als Telefonbuch. Die Vorstellung dahinter: Die Bibel ist ein einheitliches Ganzes, alle Teile sind aus demselben Gedanken, mit derselben Zielrichtung gestaltet. Deshalb ist die Bibel unabhängig von Zeit und Raum und Person für jede/n gleich zu verstehen. Es gibt nur eine gültige Interpretation bzw. man muss überhaupt nichts interpretieren.  So wie es dasteht, so gilt es. – Eine angenehme Vorstellung, die leider in keinem einzigen Fall funktioniert.

Zugang Nr. 3: Die Bibel als historischer Bericht. Die Vorstellung dahinter: Die Bibel berichtet objektiv und sachlich das was tatsächlich so geschehen ist. Es geht darum, Fakten zu begreifen. Denn: Wissen = Glauben. – Das Leben wäre leichter, wenn es so wäre. Ist es aber nicht. Glauben ist mehr als Wissen. Die Bibel ist mehr als ein Geschichtswerk.

Die Bibel ist eine Sammlung von Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt haben. Und weil Menschen sehr unterschiedlich sind, sind auch diese Geschichten sehr unterschiedlich. Es gibt Erzählungen über diese Erfahrungen, es gibt Gebete zu diesem Gott, es gibt eher abstrakte Reflexionen über diese Erfahrungen, es gibt praktische Tipps für das Leben mit Gott, es gibt Texte des Zweifels und der Verzweiflung, es gibt Liebesgedichte und bittere Vorwürfe und und und …

Nicht nur die Verfasser der Bibel waren äußerst unterschiedlich. Auch die Leser/innen waren und sind es. Deshalb nimmt auch jede/r diese Texte ganz individuell auf. Herr A ist von einem Text total überwältigt und ändert dadurch sein Leben. Frau B ist vom selben Text leicht verstört und liest ihn nie wieder. Das gilt auch für die Gesamtheit der Christen im Laufe der Zeit. Die Offenbarung zum Beispiel war im Mittelalter eines der zentralen Bücher der Bibel. Heute fristet sie eine Randexistenz. Dafür sind seit Luther die Paulus-Briefe wichtig, die davor kaum interessiert haben.

Die Bibel ist also ein individuelles Buch, für das jeder Mensch seinen eigenen Zugang finden muss. Was aber bei aller Indivualität für alle gilt: Man findet nur einen Zugang, wenn man bereit ist, sich von diesem Buch ansprechen zu lassen. Das heißt konkret: Ich muss bereit sein, auf dem Weg über dieses Buch selbst meine Erfahrungen mit Gott zu machen. Ohne bestimmte Erwartungen, was bei der Lektüre passieren muss. Ohne die Vorstellung, sofort zu jeder Frage das passende Antwortrezept zu erhalten. Und ohne die Vorstellung, ich könnte mit Hilfe der Bibel Gott näher kommen, ohne mich persönlich einbringen zu müssen.

Die Bibel ist ein Buch für das Leben. Nur aus diesem Blickwinkel erwacht Sie auch für Sie zum Leben. Ansonsten bleibt sie tot.

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