Der kleine Gott

Viele Menschen glauben an einen Gott. An den Vater-Gott der Christen, an Allah, an Jehova, an Jahwe oder an „irgendetwas da draußen“. Für manche ist dieser Glaube das Zentrum ihrer Existenz, für manche ist dieser Glaube nur etwas für besondere Momente. Was den meisten dieser Menschen gemeinsam ist: Sie glauben an einen kleinen Gott.

Sie singen „Großer Gott, wir loben dich“ und meinen mit „groß“: Riesig, gewaltig, noch riesiger, noch gewaltiger. Gott ist ein Super-Superman. Sie sagen „Gott liebt uns“ und meinen damit: Gott liebt uns so wie Menschen sich lieben, nur millionenfach intensiver und beständiger. Sie sprechen von einem allwissenden Gott und verstehen darunter einen Gott, der unvorstellbar schlau ist, der in jeder Quizsendung den höchsten Preis abräumen würde. Wobei man sich von dem Begriff „unvorstellbar“ genaue Vorstellungen macht.

Denn das ist das Dilemma eines jeden gläubigen (und auch ungläubigen) Menschen, dass das, wovon er da redet, alle seine Vorstellungen übersteigt, er sich aber irgendwie ja irgendwas vorstellen muss.

Nehmen wir mal an, es gibt ein Wesen (m/w/und vor allem d), das aus Nichts ein Universum erschafft. Können Sie sich „Nichts“ vorstellen? Also nicht eine große Dunkelheit, nicht tiefstes Schwarz, sondern NICHTS. Es gibt nichts zu sehen, zu hören, zu riechen – schon allein deshalb nicht, weil es Sie nicht gibt. Es ist nicht dunkel, es ist nicht hell, es ist nicht laut, es ist nicht still. Es ist nichts. Es vergeht im übrigen auch keine Zeit. Weil nichts ist, das vergehen könnte.

Und dann ist etwas. Nicht „plötzlich“, denn „plötzlich“ ist ja ein zeitlicher Vorgang. Etwas ist einfach. – Können Sie sich nicht vorstellen?

Eben.

Können Sie sich vorstellen, dass dieses Etwas einfach so aus Nichts entsteht, ohne dass das jemand verursacht? Nein? Können Sie sich vorstellen, dass es ein Wesen (m/w/d) gibt, das einfach da ist, ohne von jemandem verursacht worden zu sein, und das die Fähigkeit hat, aus Nichts Etwas zu machen, einfach so? – Können Sie sich auch nicht vorstellen?

Tja, genau das ist das Problem eines jeden gläubigen (und ungläubigen) Menschen. Alle Möglichkeiten, wie das alles hier zustande gekommen ist, sind unmöglich und unvorstellbar. Aber offensichtlich ist eine dieser unmöglichen Möglichkeiten eben doch möglich, weil es halt offensichtlich Etwas gibt.

Nun entscheiden sich viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, an ein Wesen (m/w/d) zu glauben, das alles erschaffen hat. Dieses Wesen übersteigt notwendigerweise (s.o.) jedes Verstehen und jede Vorstellung. Aber irgendwie muss man sich dieses Wesen ja vorstellen. Irgendwie muss man eine Verbindung zu diesem Wesen herstellen. Irgendwie muss man über dieses Wesen sprechen. Das alles kann zwangsläufig nur auf eine Weise geschehen, die der Mensch bewältigen kann. Was in der Praxis heißt: Er macht seinen Gott klein. Er belegt ihn mit menschlichen Begriffen und Vorstellungen, weil er halt einfach nicht anders kann.

Es gibt Menschen, die haben Gott direkt erfahren. Also nicht nur sein Handeln, sondern Gott persönlich, in direktem Kontakt. Der alte weise Mann gehört dazu. Diese Erfahrung ist immer mit Erschrecken verbunden, mit Überwältigung. Und mit der Unfähigkeit, diese Erfahrung anderen verständlich zu machen. Man versteht sie ja selbst nicht. Man kann darüber reden, oder es in Malerei oder Musik ausdrücken, aber das alles trifft das Erlebte nicht mal ansatzweise.

Gott ist nicht groß. Gott liebt uns nicht. Gott ist nicht allwissend. Gott ist anders. Völlig anders. Er ist auch anders als wir uns „anders“ vorstellen. All unsere Vorstellungen, all unsere Worte dafür sind nur unvermeidliche Versuche, das Unbegreifliche in unser Denken und Erleben zu übersetzen. Wir können nicht anders. Aber es sollte uns immer bewusst sein, dass wenn wir von „Gott“ reden und denken, wir immer – immer – an der Realität vorbeireden und vorbeidenken.

Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten. (Karl Rahner)

Das Buch fürs Leben

In einem früheren Artikel hat der alte weise Mann über die Bibel geschrieben. Die Aussage: Die Bibel ist kein theoretisches Lehrbuch, sie ist ein Buch für das praktische Leben. Das ist sie deshalb, weil sie kein Buch über Gott ist, sondern ein Buch über Erfahrungen, die Menschen mit Gott machen.

Was heißt das nun für unseren Umgang mit diesem besonderen Buch? Wie sollen wir die Bibel lesen?

Da gibt es ja verschiedene Ansätze. Zugang Nr. 1 zur Bibel: Die Bibel als Rezeptsammlung. Die Vorstellung dahinter: Ich finde in der Bibel zu jeder Frage, zu jedem Problem ein Rezept. Man nehme eine Prise aus dem Markus-Evangelium, mische zwei Sätze aus dem Buch Micha darunter, füge einen Abschnitt aus den Psalmen dazu, lasse das Ganze mit einer guten Portion eigener Gedanken aufgehen und  dann auf höchster Flamme hochkochen. – Das Ergebnis sieht dann oft lecker aus, ist aber immer ungenießbar und meist hochgiftig.

Zugang Nr. 2: Die Bibel als Telefonbuch. Die Vorstellung dahinter: Die Bibel ist ein einheitliches Ganzes, alle Teile sind aus demselben Gedanken, mit derselben Zielrichtung gestaltet. Deshalb ist die Bibel unabhängig von Zeit und Raum und Person für jede/n gleich zu verstehen. Es gibt nur eine gültige Interpretation bzw. man muss überhaupt nichts interpretieren.  So wie es dasteht, so gilt es. – Eine angenehme Vorstellung, die leider in keinem einzigen Fall funktioniert.

Zugang Nr. 3: Die Bibel als historischer Bericht. Die Vorstellung dahinter: Die Bibel berichtet objektiv und sachlich das was tatsächlich so geschehen ist. Es geht darum, Fakten zu begreifen. Denn: Wissen = Glauben. – Das Leben wäre leichter, wenn es so wäre. Ist es aber nicht. Glauben ist mehr als Wissen. Die Bibel ist mehr als ein Geschichtswerk.

Die Bibel ist eine Sammlung von Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt haben. Und weil Menschen sehr unterschiedlich sind, sind auch diese Geschichten sehr unterschiedlich. Es gibt Erzählungen über diese Erfahrungen, es gibt Gebete zu diesem Gott, es gibt eher abstrakte Reflexionen über diese Erfahrungen, es gibt praktische Tipps für das Leben mit Gott, es gibt Texte des Zweifels und der Verzweiflung, es gibt Liebesgedichte und bittere Vorwürfe und und und …

Nicht nur die Verfasser der Bibel waren äußerst unterschiedlich. Auch die Leser/innen waren und sind es. Deshalb nimmt auch jede/r diese Texte ganz individuell auf. Herr A ist von einem Text total überwältigt und ändert dadurch sein Leben. Frau B ist vom selben Text leicht verstört und liest ihn nie wieder. Das gilt auch für die Gesamtheit der Christen im Laufe der Zeit. Die Offenbarung zum Beispiel war im Mittelalter eines der zentralen Bücher der Bibel. Heute fristet sie eine Randexistenz. Dafür sind seit Luther die Paulus-Briefe wichtig, die davor kaum interessiert haben.

Die Bibel ist also ein individuelles Buch, für das jeder Mensch seinen eigenen Zugang finden muss. Was aber bei aller Indivualität für alle gilt: Man findet nur einen Zugang, wenn man bereit ist, sich von diesem Buch ansprechen zu lassen. Das heißt konkret: Ich muss bereit sein, auf dem Weg über dieses Buch selbst meine Erfahrungen mit Gott zu machen. Ohne bestimmte Erwartungen, was bei der Lektüre passieren muss. Ohne die Vorstellung, sofort zu jeder Frage das passende Antwortrezept zu erhalten. Und ohne die Vorstellung, ich könnte mit Hilfe der Bibel Gott näher kommen, ohne mich persönlich einbringen zu müssen.

Die Bibel ist ein Buch für das Leben. Nur aus diesem Blickwinkel erwacht Sie auch für Sie zum Leben. Ansonsten bleibt sie tot.

Ein Sinn-loser Text

Unser Leben ist Sinn-los. Nicht sinnlos, aber Sinn-los. Denn unabhängig davon, ob am Anfang des Lebens, des Universums und allem Gott steht oder Nichts: Dort am Anfang endet auf jeden Fall die Frage nach dem Sinn. Am Anfang ist einfach etwas – eben Gott oder Nichts. Egal was es ist: Es hat keinen Ursprung, keinen Grund und damit keinen Sinn.

Der alte weise Mann glaubt – weiß -, dass am Anfang Gott steht. Der Gott, den Jesus verkündet hat. Dieser Gott ist Sinn-los. Denn dieser Gott ist. Er ist noch bevor es die Zeit gab. Bei ihm gibt es kein Davor, kein Jetzt und kein Danach. Bei ihm gibt es deshalb auch keine Ursache und keine Wirkung. Und deshalb muss er auch nichts tun. Es gibt nichts, was seinen freien Willen ein­schränkt und deshalb in irgendeine Richtung lenken würde. Es gibt keinen Grund, weshalb er ist und weshalb er so ist wie er ist. Dieser Gott hat keinen Sinn.

Aber dieser Gott gibt Sinn. Er gibt unserem Leben Sinn.

Dieser Sinn kommt von der erstaunlichsten Tatsache in diesem Universum: Die Tatsache, dass es dieses Universum überhaupt gibt. Es wäre wesentlich einfacher, naheliegender und natürlicher, dass es Nichts gibt. Für Nichts braucht es keinen Grund, keine Begründung, keine Regeln. Nichts wäre von jeder Logik her der Normalzustand. Die bloße Existenz dieser Welt macht alles kompliziert. Alle Fragen ergeben sich nur daraus, dass das Universum existiert.

Der alte weise Mann glaubt/weiß, dass Gott dieses Universum geschaffen hat. Dieser Gott, für den es keine Ursache gibt. Der einfach ist. Er musste das alles nicht tun. Es gab keinen Grund dafür. Die Erschaffung der Welt war Sinn-los.

Genau das ist es jedoch, was unserem Leben Sinn gibt. Klingt widersinnig, und ist es auch.

Wir leben weil Gott uns erschaffen hat. Wie gesagt, er musste das nicht tun. Er musste auch nicht genau Sie oder genau Ihren Nachbarn erschaffen. Das Ganze war aber auch keine Willkür. Denn bei Gott gibt es nicht das Gesetz von Ursache und Wirkung. Ursache und Wirkung sind an Zeit gebunden; und bei Gott gibt es keine Zeit. Deshalb muss Gott auch nicht verschiedene Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abwägen und dann Entscheidun­gen treffen. Bei ihm ist alles eins. Deshalb muss er nichts tun, deshalb macht er aber auch nicht etwas einfach so. Gott macht. Weil Gott ist. Punkt.

Das ist bei uns Menschen anders. So anders, dass wir wenig bis gar keine Worte dafür haben wie Gott ist und handelt. Wir brauchen Grundlagen für unsere Entscheidungen. Wir können uns nicht von diesem Leben aus Ursache und Wirkung lösen. Genau deshalb verstört es uns ja auch so, wenn etwas „einfach so“ geschieht. Mit Zufällen können wir nicht leben. Das hal­ten wir nicht aus. Wir brauchen Zusammenhänge, wir brauchen Sinn. Aus diesem Grund un­terstellen dann auch Menschen, die an einen Gott glauben, diesem Gott irgendwelche Motive für sein Handeln und Nicht-Handeln. Aber das ist die menschliche Sicht. Gott hat keine Moti­ve, Gott ist aber auch nicht willkürlich. Gott ist.

Und so hat Gott dadurch dass er diese Welt erschaffen hat, ihr den Sinn gegeben. Dadurch hat Gott Ihnen und mir Sinn gegeben. Er hat Sie und den Rest der Menschheit gemacht, und unser Sinn ist es, zu sein. In dem zu sein, der uns den Sinn gibt. In Gott zu sein und Gott in uns sein zu lassen. Nicht nur ein bisschen. Nicht nur in bestimmten Bereichen. Sondern „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“, wie es im Glaubensbekenntnis der Juden heißt.

Gott ist. Und deshalb ist unser Sinn, ebenfalls zu sein. In Gott zu sein. Denn Gott hat keinen Sinn. Gott ist der Sinn.

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Und was heißt das jetzt konkret? Was bedeutet „In Gott sein“ für mein Leben? Mehr dazu in diesem Artikel!

Leben mit Ihm

Jesus ist das Zentrum, um das sich alles dreht, hat der alte weise Mann im vorigen Artikel geschrieben. Was heißt das nun in der Praxis? Wie lebt es sich mit Jesus und seinem Vater und in ihrem Geist?

Aus über fünfzig Jahren Erfahrung gesagt: Es lebt sich gut. Es lebt sich leicht. Leichter jedenfalls als ein Leben ganz allein auf sich selbst gestellt. Manchmal ist es auch ein Kampf, gelegentlich steht man verwirrt und/oder verwundert da, man durchlebt Höhen und Tiefen. Aber man durchlebt sie leichter.

Wenn man mit Jesus lebt, ändert sich nichts und alles. Man bleibt immer noch der selbe Mensch, mit allen Stärken und Schwächen. Was sich ändert: Man lebt in dem Bewusstsein, dass man nicht allein ist. Dass man seine Existenz nicht allein aus eigener Kraft bewältigen muss. Dass es da jemanden gibt, der gut zu mir ist und der praktischerweise auch noch allmächtig ist. Was in der Praxis bedeutet: Im Leben mit Gott ist alles möglich. Auch das Unmögliche. Was wiederum in der praktischen Anwendung der Praxis bedeutet: Ich muss vor nichts Angst haben. Ich kann mir und dem Rest der Welt alles zutrauen.

Wobei: Das ist jetzt nicht ganz korrekt formuliert. Es steigt nicht das Zutrauen in mich selbst oder den Rest der Welt. Es steigt das Zutrauen in Gott. Gott bewirkt alles. Wenn mein Glaube an Gott, an Jesus nur der Selbstoptimierung dient, dann scheitert er. Dann scheitere ich mit meinem Leben. Dann benutze ich Gott nur als Hilfsmittel für meine Zwecke. Was immer schief geht.

Mein Selbstzutrauen steigt wenn ich dem Bewusstsein lebe, dass es nicht um mich geht. Dass „der Erfolg“ nicht von mir abhängt. Wenn ich mich ganz in Gott fallen lasse, dann bin ich der Größte, Stärkste, Erfolgreichste. Paradox. Aber leicht zu leben. Ehrlich.

Das Ganze gilt allerdings unter einer Voraussetzung. Das hat der alte weise Mann hier schon öfter gesagt, und er wird es noch oft sagen: Es geht bei all dem Gesagten hier nicht zuerst um Lebensbewältigung, es geht um Wahrheit. Wenn dieser Gott nicht existiert, wenn dieser Jesus nicht Gott ist, dann ist auch dieses ganze Selbstzutrauen in völliger Hingabe an diesen Gott eine Illusion. Dann ist mein ganzes Leben, Ihr ganzes Leben mit diesem Gott komplett für’n Arsch.

Deshalb gilt: Zu einem Leben mit Jesus gehört auch immer wieder der Blick auf eben diesen Jesus, auf seinen Vater, auf ihren Geist. Ein ehrlicher Blick. Nicht ein Fragen nach dem Motto „Was hätte ich denn gerne, damit ich weiter beruhigt vor mich hinwurschteln kann?“. Sondern immer wieder die Frage: „Wie ist die Realität?“ Also die reale Realität, nicht Ihre persönliche Wunschrealität.

Er

Vieles von dem was Christen glauben findet auch bei Anhängern anderer Weltanschauungen Zustimmung. Nächstenliebe zum Beispiel. Oder die christlichen Werte – was immer auch damit gemeint ist. Das alles ist ja wertvoll für „Die Gesellschaft“ und muss deshalb auch bewahrt werden. Oder man kann es zumindest mitleidig lächelnd tolerieren. Aber bei einem Thema scheiden sich die Geister. Das heißt, es ist eigentlich kein Thema. Es ist ein Jemand. Es ist Er. Jesus.

Jesus spaltet. Wahrscheinlich auch Sie, liebe Leser (m/w/d). Als Sie eben eine Zeile weiter oben diesen Namen lasen, haben Sie vermutlich eine von zwei Reaktionen gezeigt: Sie haben laut und freudig zugestimmt oder stöhnend die Augen verdreht. Sie stimmen freudig zu, weil auch für Sie dieser Jesus das Zentrum Ihres Glaubens ist und somit das Zentrum Ihres Lebens. Sie verdrehen die Augen, weil Sie diesen Anspruch völlig überzogen finden.

Mit letzterer Reaktion haben Sie auch recht. Der alte weise Mann richtet sein Leben an diesem Jesus aus, aber er erschrickt regelmäßig über seinen eigenen Glauben. Übertragen wir das Ganze mal in unsere Zeit: Da ist ein Mensch, nennen wir ihn Karlheinz Meier. Der lebt dreißig Jahre lang relativ unauffällig. Dann beginnt er in einem überschaubaren Radius um sein Heimatdorf umherzuziehen und bemerkenswerte Dinge über Gott von sich zu geben. Außerdem heilt er körperlich und psychisch Kranke. Karlheinz Meier gewinnt viele Follower, aber er eckt mit seiner Botschaft auch an. Schließlich wird er von feindlich gesinnten Hasspredigern getötet. Drei Tage später lebt er aber wieder und verschwindet vierzig Tage danach aus dieser Welt in vermutlich eine andere. Außer in einem Umkreis von 100 km um sein Dorf hat keiner was von dem Ganzen mitbekommen. Ein paar Jahrzehnte später glauben aber Millionen Menschen an Karlheinz Meier und bekennen: Er ist Gott, der Mensch geworden ist.

Nicht zu glauben, oder? Tja, doch zu glauben. Der alte weise Mann kann aus einem halben Jahrhundert Leben mit Karlhei… äh Jesus bestätigen: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Nicht weil es dem alten weisen Mann gut tut oder ihm bei der Lebensbewältigung hilft (das auch), sondern weil es so ist. Weil er immer wieder verstört vor seinem eigenen Glauben zusammenzuckt, aber am Ende immer wieder zum selben Ergebnis kommt: Er kann nicht anders als an Jesus zu glauben. Weil es wahr ist.

Mehr dazu im nächsten Artikel. Bis dahin entlässt Sie der alte weise Mann in freudige Erregung oder missbilligendem Augenbrauenhochziehen.

Ins Buch geschaut

Christen haben zwei Grundlagen für ihren Glauben: Die Bibel und persönliche Erfahrung. Was erstere angeht: Da hält sich hartnäckig die Ansicht, dass die Bibel von Gott handelt. Das ist nicht ganz verkehrt, ist aber auch nicht ganz richtig. Richtig ist: Die Bibel handelt davon, wie Menschen Gott erfahren.

Denn über Gott selbst lässt sich nichts sagen. Gott ist anders. Nicht nur ein bisschen anders, so wie Sie sich zum Beispiel von Ihrer Nachbarin unterscheiden. Gott ist komplett völlig total anders. Er ist unbegreifbar, unvorstellbar. Alles was man über Gott sagt, geht an seiner Realität vorbei. (Mit Sicherheit auch der eben gesagte Satz.)

Aber Menschen können Gott erfahren, diesen unfassbaren, unverstehbaren Gott. Weil sich Gott erfahrbar macht. So können Menschen nicht nur glauben, sondern wissen dass es Gott gibt, und sein Wesen kennenlernen. Das aber immer noch jeden Verstand und jede Art der menschlichen Auffassung übersteigt. Was zu einer Spannung führt, die sehr schwer auszuhalten ist. Weshalb immer die Versuchung da ist, diesen Gott zu vermenschlichen. Ihn aus der Unbegreifbarkeit herauszuholen und ihn zu einer Art Super-Superman zu machen. Einem Über-Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, den man aber begreifen kann, den man im eigenen Sinn lenken und beeinflussen kann.

Sobald das aber geschieht, verliert man diesen Gott. Der Satz „Ich habe Gott verstanden“ ist ein sicherer Hinweis darauf, dass man nicht an Gott glaubt.

Genau von dieser Spannung handelt die Bibel. Deshalb heißt es „Du sollst dir kein Bild, keine Vorstellung von Gott machen.“ Deshalb antwortet Gott auf die Frage von Mose, wer er denn sei, mit „Jahwe“ – auf Deutsch: „Ich bin“. Mehr kann man nicht sagen über Gott. Deshalb geht es in der ganzen Bibel vom Anfang der Schöpfung bis zum Ende in der Offenbarung um eines: „Gott ist der Chef. Und das nicht nur ein bisschen, sondern ganz und gar.“

Insofern ist es richtig dass die Bibel von Gott handelt. Aber Gott lässt sich nicht in Worte fassen. Der Ausdruck „Chef“ im obigen Absatz ist ja auch schon wieder eine Vermenschlichung, um das Unfassbare fassbar zu machen. Anders geht es halt nicht. Aus diesem Grund können Menschen, wenn sie von Gott sprechen, immer nur davon sprechen, wie sie ihn erfahren. Und von eben diesen Erfahrungen handelt die Bibel. Sie ist kein theoretisches Lehrbuch, sie ist ein lebenspraktisches Buch, ein Buch über gelebten Glauben.

Was heißt das nun über den Umgang mit der Bibel? Mehr dazu in diesem Artikel.

Die Gretchenfrage

In Goethes Faust stellt Gretchen dem Titelhelden einmal die Gretchenfrage. Frage für Klugscheißer: Wie lautet diese Frage? Antwort: „Sag, Heinrich, wie hältst du’s mit der Religion?“

Der moderne Heinrich verdreht bei dieser Frage die Augen. Die Henriette auch. Religion ist ja so was von out. „Die Religion“ ist ja auch schuld an allen Übeln dieser Welt. Und überhaupt! Heinrich und Henriette brauchen keine Religion. Sie sind sich selbst gut genug.

Kann man so sehen. Wenn man etwas Entscheidendes übersieht: „Ich bin nicht religiös“ ist auch schon eine religiöse Aussage. Denn jeder Mensch ist religiös. Weil jeder Mensch etwas glaubt. Jeder Mensch hat gewisse Grundannahmen, woher er (und der Rest der Menschheit) kommt, wohin er geht und was das dazwischen alles soll. Manche Menschen haben irgendeinen Gott als Grundannahme, manche Menschen glauben an das Nichts, die meisten Menschen glauben an Wurscht („Das is‘ mir doch alles wurscht!“). Aber jeder Mensch glaubt irgendwas.

„Ich glaube an nichts“ gibt’s nicht. Was es gibt: „Ich glaube an Nichts“. Kleiner Unterschied in der Grammatik, großer Unterschied im Leben. Denn ohne Glauben kann der Mensch nicht leben. Er braucht Sinn, er braucht Schubladen, in die er alles stecken kann. Im Kleinen, im Alltäglichen wie im Großen. Im Wesentlichen gibt es drei Schubladen: 1) Alles hier wurde von irgendjemandem gemacht, 2) alles hier ist von selbst entstanden, 3) das ist mir doch alles wurscht.

Egal in welcher Schublade jemand steckt: Es hat Auswirkungen auf das praktische Leben. Das ist dann die Religion. Ein Mensch, der an einen Gott glaubt, lebt anders als jemand, der sich völlig auf sich allein gestellt sieht. Das Leben von Gottgläubigen unterscheidet sich stark, je nachdem ob der geglaubte Gott ein liebender Gott ist, oder ein strafender, oder ein gleichgültiger. Und wer an Wurscht glaubt, ist den ganzen Tag damit beschäftigt, vor der Erkenntnis zu fliehen, dass es Wurscht nicht gibt und man sich dieser Frage nach dem Leben, dem Universum und allem nicht entziehen kann. Eine ganze Vergnügungsindustrie lebt von dieser Flucht vor der Gretchenfrage ins Wurscht.

„Religion“ sagen die angeblich Nichtreligiösen und meinen damit „Religion mit Gott“. Sie verkennen dabei, dass es auch Religion ohne Gott gibt. Weil der Mensch eben nicht ohne Sinn und Welterklärung auskommt. Gottfreie Religionen sind zum Beispiel Kommunismus, Nationalsozialismus, die freie Marktwirtschaft, die Wissenschaft, die Selbstoptimierung, der Fortschritt, und – vor allem: das Ich.

Der Heinrich, der an die Selbstoptimierung als Lebenssinn glaubt, geht anders mit Menschen um als Henriette, die an einen liebenden Gott glaubt. Heinrich geht anders mit sich selbst um als Henriette. Heinrich sucht sich einen anderen Beruf als Henriette. Heinrich hat anderen Sex als Henriette. Heinrich hat andere religiöse Rituale als Henriette. Er geht nicht in die Kirche, er geht zu einem Marketing-Guru, der ihm die neueste Selbstoptimierungs-Heilslehre erklärt. Und wenn er nebenher noch wissenschaftsgläubig ist, dann liest er in den Heiligen Schriften von Stephen Hawking oder eines anderen Messias.

Jeder Mensch ist religiös. Und Sie? Wie halten Sie es mit der Religion?

Was glauben Sie eigentlich?

Wer an etwas glaubt und diesen Glauben auch noch in praktisches Leben umsetzt, der ist in unserer hochtoleranten Kultur vielen Angriffen ausgesetzt. Denn feste Überzeugungen zu haben ist natürlich so was von intolerant. Klar. Schließlich ist es menschenunmöglich, selbst von etwas überzeugt zu sein und gleichzeitig andere Ansichten zu respektieren. Das wissen die hypertoleranten Menschen ja aus eigener Erfahrung.

Außerdem ist es so was von Mittelalter, etwas zu glauben. Der moderne aufgeklärte Mensch glaubt nicht, er weiß.

Okay. Schauen wir uns mal an, was wir alles wissen. Sie wissen zum Beispiel, dass die Welt aus Atomen aufgebaut ist. – Wirklich? Haben Sie schon mal ein Atom gesehen oder sonst irgendwie persönlich wahrgenommen? Oder wenigstens selbst experimentell nachgewiesen?

Nein? Sie sind kein Atomphysiker? Dann glauben Sie also an die Existenz von Atomen. Wissen tun Sie nicht davon. Sie glauben den Wissenschaftlern, dass ihre Erkenntnisse richtig sind. Sie glauben Ihren Lehrern oder den Büchern oder Internetseiten, dass diese die Erkenntnisse der Wissenschaftler korrekt wiedergeben. Und Sie glauben sich selbst, dass Sie das alles richtig verstehen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Eines aus dem praktischen Leben. Sie wissen, dass Ihre Eltern Ihre Eltern sind. Oder nicht? Können Sie sich an Ihre Zeugung erinnern, oder wenigstens an Ihre Geburt? – Sie wissen also nicht aus eigener Anschauung, ob Ihre Eltern tatsächlich Ihre Eltern sind. Sie können es nur glauben. Sie könnten es mittels eines DNA-Tests überprüfen. Aber dazu müssen Sie wieder viel Glauben aufbringen. Sie müssen glauben, a) dass der Test das richtige Ergebnis liefert, b) dass ein DNA-Test überhaupt was über Abstammung aussagt, c) dass es so was wie DNA tatsächlich gibt und d) dass die im Falle ihrer Existenz etwas mit Fortpflanzung zu tun hat. Das alles können Sie nicht selbst überprüfen und daher nicht wissen. Sie können es nur glauben, zumindest solange Sie sich nicht in die Materie einarbeiten und diese selbst erfahren und begreifen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht hier nicht darum, alles anzuzweifeln oder „der Wissenschaft“ grundsätzlich zu misstrauen oder gar in irgendwelche Verschwörungstheorien zu verfallen. Es geht hier einzig um eines: Sie wissen sehr wenig und glauben sehr viel. Machen Sie einfach mal einen Praxistest! Schreiben Sie sich auf, was Sie alles wissen. Von den ganz banalen Dingen des Alltags bis zu den Basisfakten des Lebens. Und dann schauen Sie sich jeden Punkt an, ob Sie dieses „Wissen“ tatsächlich aus eigener Anschauung und Erfahrung erworben haben, oder nur durch Vermittlung durch andere. Also: Ob Sie das wirklich selbst wissen, oder ob Sie anderen glauben.

Sie werden feststellen: Die meiste Zeit Ihres Lebens sind Sie damit beschäftigt, etwas zu glauben. Auch wenn Sie zu den rational lebenden Menschen gehören, die deshalb jeden religiösen Glauben ablehnen: Sie glauben. Täglich, stündlich, minütlich. Und weil Sie wie jeder Mensch von Bequemlichkeit und Verdrängung beherrscht sind, glauben Sie am liebsten das, was Ihnen nicht weh tut. So wie jeder Christ und jeder Moslem und jeder Jude auch. Es gibt also für Sie keinen Grund zur Überheblichkeit. Das können Sie dem alten weisen Mann glauben.

Der alte weise Mann glaubt

Jedes Reden über Gott ist eine Themaverfehlung, hat der alte weise Mann geschrieben. Derselbe alte weise Mann, der einen ganzen Blog mit Reden über Gott betreibt. – Ja, richtig, dieser Blog ist eine einzige Themaverfehlung. Über Gott lässt sich nichts sagen.

Aber Gott lässt sich erfahren. Dieser Gott, der völlig komplett total anders ist, den kein Mensch auch nur ansatzweise begreift, dieser Gott wird so menschlich, dass Menschen ihn erfahren können. Sie verstehen ihn dann zwar immer noch nicht, aber sie glauben. Sie glauben, weil sie nicht anders können angesichts dieser Erfahrung.

Der alte weise Mann glaubt an Gott, an diesen Gott, den Jesus verkündet hat. Er glaubt, weil er weiß. Er weiß, weil er Gott erfahren hat. Der alte weise Mann hat nicht nur das Wirken Gottes erfahren, er hat Gott selbst erlebt. Körperlich, im Kampf, im Ansehen. Der alte weise Mann versteht immer noch nichts. Aber er kann nicht anders als zu glauben an diesen unbegreiflichen Gott. Und aus ihm zu leben und von ihm zu reden. Und dabei immer wieder das Thema zu verfehlen.