Alles anders, immer

Das Leben in der Realität ist das einzig sinnvolle Leben, hat der alte weise Mann im Vorwort geschrieben. Diese Realität ist ein Universum, das nach eindeutigen Regeln von Ursache und Wirkung funktioniert. Daraus folgt eine weitere Eigenart der Realität: Es geschieht immer etwas. Nichts kann sich der Einwirkung durch den Rest des Universums entziehen. Pausenlos wirken Gigantillionen von Vorgängen auf andere Vorgänge ein. Mit anderen Worten: Es gibt im Universum keinen Stillstand. Alles ist Bewegung und Veränderung. Von den riesigen Galaxien bis zu den kleinsten Bestandteilen eines Atoms. Auch Sie selbst verändern sich unaufhörlich. Ihr Körper bildet neue Zellen, alte Zellen sterben ab, Blut fließt, Nervenimpulse strömen, ihr Gehirn arbeitet ununterbrochen. Dasselbe gilt für Sie als Persönlichkeit. Sie verändern sich jeden Tag. Sie machen neue Erfahrungen, Sie vergessen, Sie erinnern sich. Meistens sind das nur unmerkliche Veränderungen, manchmal machen Sie einen großen Sprung.

Die Realität ist also Veränderung. Nie gibt’s Ruhe. Das überfordert viele Menschen. Deshalb flüchten sie aus dieser anstrengenden Realität in ein persönliches Universum, in dem alles festgefügt ist. „Das war schon immer so, das haben wir noch nie gemacht, und da könnte ja jeder kommen.“ Vor allem wenn es jemandem gut geht, ist jede Veränderung angsteinflößend. „Okay“, heißt es dann, „bis jetzt war alles in Entwicklung. Aber nun habe ich ein Endstadium erreicht, das sich nie mehr ändern darf.“ Doch schnell kommt die Realität ums Eck und sagt: „Ne, das jetzt ist auch nur ein Durchgangsstadium.“ Und prompt ist der Mensch beleidigt und macht der Realität / dem Schicksal / Gott bittere Vorwürfe. „Jetzt war ich 56 Jahre lang gesund. Warum ändert sich das jetzt?“ „Wir leben seit Jahrzehnten in Frieden und Sicherheit. Das darf nie mehr anders werden, koste es was es wolle!“ „Wir zwei sind so verliebt ineinander. So bleibt es die nächsten hundert Jahre. Und wenn nicht: Dann ist unsere Beziehung am Ende.“

Das alles ist einer der verbreitetsten Gründe weshalb Menschen leiden. Weil sie in einem Parallel-Universum leben, in dem sich nie etwas ändert.  Und weil der Mensch an sich eine Eigenart hat, die ihm das Leiden erst so richtig ermöglicht: Er sieht nur das was er verliert. Das was er hat ist selbstverständlich. – Dass ich lebe: Äh, klar, warum nicht? Dass ich dieses Leben wieder verliere: Nö, auf keinen Fall! Dass ich dieses Leben ohne körperliche Einschränkungen leben kann: Also bitte, da brauchen doch gar nicht darüber reden! Dass ich diese Gesundheit verliere: Böse Welt! Böser Gott! Dass es unserer Gesellschaft so gut geht wie noch nie: Was weiß ich von „wie noch nie“! Ich kenn es nicht anders. Dass Menschen unseren Wohlstand und Frieden bedrohen, möglicherweise: Skandal! Lasst sie alle absaufen!

Sinnvolles Leben ist Leben in der Realität. In der tatsächlich existierenden Realität. Diese Art zu leben ist auch viel weniger anstrengend. Man bekommt nicht jeden Tag zehnmal eins von der Realität auf die Rübe. Man muss sich viel weniger aufregen und kann sein Leben gelassener angehen, wenn man in dem Bewusstsein lebt, dass eh alles nur vorübergehend ist. Dann genießt man das was man hat auch viel intensiver. Weil man weiß: Man hat nicht ewig Zeit dafür. Und das Verlieren fällt leichter, wenn man weiß: Ich verliere ohnehin. Jeden Tag ein bisschen und am Ende alles. Egal ob ich dagegen ankämpfe, davor davonlaufe oder es akzeptiere. Nur: Akzeptieren kostet am wenigsten Kraft, beim selben Ergebnis. Also …

Ursache, Wirkung, Regeln

Dieser Blog ist eine Suche nach der Wahrheit, hat der alte weise Mann hier gewarnt. Es geht hier nicht nach dem Lebensmotto von Pippi Normalverbraucher „Ich mach mir die Welt, widde widde, wie sie mir gefällt“. – Ja, also dann, wie ist denn die Welt dann so? Also die real existierende Welt?

Die reale Welt funktioniert nach einem klaren Grundprinzip – dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Alles was geschieht, wird durch etwas verursacht. Und alles was geschieht, verursacht wiederum etwas anderes. Nichts geschieht „einfach so“. Und nichts bleibt wirkungslos.

Ursache und Wirkung geschehen wiederum nach bestimmten, immer gleichen Regeln. Die regeln nicht nur, was wann geschieht, sondern auch wie es geschieht. Der Mensch nennt das „Naturgesetze“.

Das alles ist sehr praktisch. Sie können sich dank der Naturgesetze und des Ursache-Wirkungsprinzips darauf verlassen, dass Ihr Bein sich heute in die gleiche Richtung mit der gleichen Geschwindigkeit und Kraft bewegt wie gestern, wenn Sie exakt die gleiche Bewegung damit ausführen. Stellen Sie sich mal eine Welt ohne Ursache-Wirkung-Naturgesetze vor. Sie würden heute plötzlich rennen wie Usain Bolt und morgen mit jedem Schritt in die Höhe sausen, weil die Gravitation sich gerade eine Auszeit nimmt. Nein, das würde nicht passieren – weil es Sie gar nicht gäbe. Weil Ihr Körper alle paar Sekunden anders funktionieren würde. Weshalb es Ihren Körper gar nicht gäbe. Weshalb es schon gar kein funktionierendes Universum gäbe.

Oder vielleicht doch. Wir können uns eine Welt ohne Ursache-Wirkung-klare Regeln-Gedöns halt einfach nicht vorstellen. Weil nun mal alles darauf aufbaut. Das Universum an sich, das Leben im Speziellen und unser Denken im besonders Speziellen. Darum werden wir auch so nervös, wenn etwas „einfach so“ geschieht. (Wobei eben nie etwas „einfach so“ geschieht. Uns fehlt nur öfter mal der Einblick in Ursache und Wirkung.) Darum suchen wir immer und überall nach Zusammenhängen, nach Mustern, nach Sinn. Darum fragen kleine Kinder schon pausenlos „Warum?“. Darum betreiben erwachsene Kinder Wissenschaft. Darum basteln sich Menschen Welt-Anschauungen.

Weil der Mensch vor allem bequem ist, müssen alle diese Zusammenhänge, Muster, Sinn-Antworten und Welt-Anschauungen nicht unbedingt richtig sein. Hauptsache, sie geben zumindest kurzfristig eine Ursache-Wirkung-Regel-Erklärung, die nicht nach fünf Minuten in sich zusammenfällt. Die Erklärung muss beruhigen, nicht erklären.

Das Ursache-Wirkung-Naturgesetze-Prinzip ist also ungeheuer praktisch und bequem, nicht nur im Alltag. Alle Wissenschaft lebt davon, dass man anhand dieses Prinzips verlässlich in die Vergangenheit zurückschauen kann und zuverlässige Berechnungen für die Zukunft anstellen kann. (Sofern man korrekte und vollständige Daten hat.) Das Ganze hat aber auch seine beunruhigenden Seiten. Denn verlässlich in die Vergangenheit und Zukunft sehen anhand der Naturgesetze heißt auch: Es ist alles von Anbeginn an festgelegt. Es stand fünf Sekunden nach dem Urknall schon fest, wie hoch die Luftfeuchtigkeit am heutigen Tag an Ihrem Wohnort sein wird.

Womit dann sehr schnell eine extrem beunruhigende Frage auftaucht: Ja, was ist dann mit dem freien Willen des Menschen? Ist dann auch seit zig Milliarden Jahren festgelegt, dass Sie jetzt exakt in diesem Moment exakt diese Worte lesen?

Dazu später mehr – sofern das Ursache-Wirkung-Regel-Prinzip dem alten weisen Mann Gelegenheit dazu gibt. Er wünscht Ihnen auf jeden Fall schon mal eine ruhige Zeit mit vielen beruhigenden Erklärungen.