Kein Vergleich

Der Mensch lebt vom Vergleich. Er ist kaum bis gar nicht in der Lage, mit absoluten Größen umzugehen.

Ein paar Beispiele: Sie fahren auf die Autobahn auf und beschleunigen von 50 km/h auf 120 km/h. Diese 120 km/h kommen Ihnen da sehr schnell vor. Sie erhöhen weiter auf 180 km/h. Das empfinden Sie als beängstigend schnell. Für ein paar Minuten. Dann haben Sie sich daran gewöhnt. Wenn Sie dann auf 120 km/h runterbremsen, kommt Ihnen das sehr langsam vor. Obwohl es die selbe Geschwindigkeit ist wie kurz davor. Der Mensch kann halt keine Geschwindigkeiten einschätzen, sondern nur Beschleunigung – d.h. den Vergleich der jetzigen Geschwindigkeit mit der vor einem Augenblick.

Anderes Beispiel: Im November sagen Sie: „Och, jetzt wird es schon um sechs Uhr dunkel!“ Im Februar sagen Sie: „Juhu, es wird erst um sechs Uhr dunkel!“ – Es ist die selbe Uhrzeit. Aber dafür haben Sie kein Gespür. Sie spüren nur den Vergleich zum Vortag.

Egal um welche Größe es geht: Der Mensch vergleicht. Manche Menschen schaffen es durch viel Übung, absolute Größen einschätzen zu lernen. Sie können z.B. vom bloßen Hinschauen sagen: „Bis da hinter ist es ein Kilometer.“ Aber das können sie nur, weil sie den Vergleich automatisiert haben, so dass sie ihn nicht mehr bewusst wahrnehmen.

Dieses ständige Vergleichen hat nun eine bemerkenswerte Folge im sozialen Bereich:

NEID

Weil der Mensch den Vergleich so tief in sich verankert hat, vergleicht er oder sie sich auch ständig mit anderen Menschen. Und auch dabei ist er oder sie nicht in der Lage, absolute Größen wahrzunehmen. (Absolute Größe: Das was unabhängig von anderem besteht. Z.B. Geschwindigkeit, Länge, Zeit. 1 km ist 1 km, egal wie lang der Ihnen vorkommt. – Herrn Einstein lassen wir jetzt mal außen vor.) Beispiel: Frau Müller hat alles, was sie zum Leben braucht. Genügend Einkommen, genügend Rücklagen, eine befriedigende Arbeitsstelle, eine glückliche Ehe, viele gute Beziehungen, Gesundheit, ein reiches, friedliches Land. Sie könnte zufrieden sein, denn all diese absoluten Größen sind so wie sie sich das wünscht. Aber ihr Bruder verdient mehr, und er muss dafür sogar noch weniger arbeiten! Und ihre Freundin hat einen noch viel tolleren Mann wie sie! Und überhaupt, ihr Mann ist kein Vergleich zu ihrem ersten Freund, ihrer großen Liebe! Und das Jobangebot, das sie damals abgelehnt hat: Das wäre hundertmal toller gewesen als der Job jetzt! Und was ihr Land angeht: Früher war alles besser!

Und so ist Frau Müller ewig unzufrieden. Anderen geht es besser als ihr. Ihr geht es jetzt nicht so gut wie früher. Überall gibt es etwas, das schöner, größer, erfüllender ist als das, was sie jetzt gerade hat. Neid, Neid, Neid. Das ganze Leben ist scheiße.

Natürlich, der Mensch wird das Vergleichen nicht los. Er oder sie kann nicht anders. Und es hat ihn ja auch zu dem gemacht, was er ist. Fortschritt und Entwicklung gibt es nur durch die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, die aus dem Vergleichen heraus entsteht. Aber es hilft ungemein, wenn man immer wieder vergleicht, was man denn so vergleicht. Und ob ein Vergleich überhaupt angebracht ist, und sich nicht mal ein Blick auf den unvergleichbaren Ist-Zustand lohnen würde. Oder ob der aktuell angewandte Vergleich sinnvoll und hilfreich ist oder nicht. Ob man Äpfel mit Birnen vergleicht, oder Äpfel vom Supermarkt mit Äpfeln vom Hofladen. Mit den richtigen Vergleichen zur richtigen Zeit kommt man vergleichsweise besser durchs Leben. Und Neid ist immer schädlich. Absolut.

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