Was glauben Sie eigentlich?

Wer an etwas glaubt und diesen Glauben auch noch in praktisches Leben umsetzt, der ist in unserer hochtoleranten Kultur vielen Angriffen ausgesetzt. Denn feste Überzeugungen zu haben ist natürlich so was von intolerant. Klar. Schließlich ist es menschenunmöglich, selbst von etwas überzeugt zu sein und gleichzeitig andere Ansichten zu respektieren. Das wissen die hypertoleranten Menschen ja aus eigener Erfahrung.

Außerdem ist es so was von Mittelalter, etwas zu glauben. Der moderne aufgeklärte Mensch glaubt nicht, er weiß.

Okay. Schauen wir uns mal an, was wir alles wissen. Sie wissen zum Beispiel, dass die Welt aus Atomen aufgebaut ist. – Wirklich? Haben Sie schon mal ein Atom gesehen oder sonst irgendwie persönlich wahrgenommen? Oder wenigstens selbst experimentell nachgewiesen?

Nein? Sie sind kein Atomphysiker? Dann glauben Sie also an die Existenz von Atomen. Wissen tun Sie nicht davon. Sie glauben den Wissenschaftlern, dass ihre Erkenntnisse richtig sind. Sie glauben Ihren Lehrern oder den Büchern oder Internetseiten, dass diese die Erkenntnisse der Wissenschaftler korrekt wiedergeben. Und Sie glauben sich selbst, dass Sie das alles richtig verstehen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Eines aus dem praktischen Leben. Sie wissen, dass Ihre Eltern Ihre Eltern sind. Oder nicht? Können Sie sich an Ihre Zeugung erinnern, oder wenigstens an Ihre Geburt? – Sie wissen also nicht aus eigener Anschauung, ob Ihre Eltern tatsächlich Ihre Eltern sind. Sie können es nur glauben. Sie könnten es mittels eines DNA-Tests überprüfen. Aber dazu müssen Sie wieder viel Glauben aufbringen. Sie müssen glauben, a) dass der Test das richtige Ergebnis liefert, b) dass ein DNA-Test überhaupt was über Abstammung aussagt, c) dass es so was wie DNA tatsächlich gibt und d) dass die im Falle ihrer Existenz etwas mit Fortpflanzung zu tun hat. Das alles können Sie nicht selbst überprüfen und daher nicht wissen. Sie können es nur glauben, zumindest solange Sie sich nicht in die Materie einarbeiten und diese selbst erfahren und begreifen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht hier nicht darum, alles anzuzweifeln oder „der Wissenschaft“ grundsätzlich zu misstrauen oder gar in irgendwelche Verschwörungstheorien zu verfallen. Es geht hier einzig um eines: Sie wissen sehr wenig und glauben sehr viel. Machen Sie einfach mal einen Praxistest! Schreiben Sie sich auf, was Sie alles wissen. Von den ganz banalen Dingen des Alltags bis zu den Basisfakten des Lebens. Und dann schauen Sie sich jeden Punkt an, ob Sie dieses „Wissen“ tatsächlich aus eigener Anschauung und Erfahrung erworben haben, oder nur durch Vermittlung durch andere. Also: Ob Sie das wirklich selbst wissen, oder ob Sie anderen glauben.

Sie werden feststellen: Die meiste Zeit Ihres Lebens sind Sie damit beschäftigt, etwas zu glauben. Auch wenn Sie zu den rational lebenden Menschen gehören, die deshalb jeden religiösen Glauben ablehnen: Sie glauben. Täglich, stündlich, minütlich. Und weil Sie wie jeder Mensch von Bequemlichkeit und Verdrängung beherrscht sind, glauben Sie am liebsten das, was Ihnen nicht weh tut. So wie jeder Christ und jeder Moslem und jeder Jude auch. Es gibt also für Sie keinen Grund zur Überheblichkeit. Das können Sie dem alten weisen Mann glauben.

Der alte weise Mann glaubt

Jedes Reden über Gott ist eine Themaverfehlung, hat der alte weise Mann geschrieben. Derselbe alte weise Mann, der einen ganzen Blog mit Reden über Gott betreibt. – Ja, richtig, dieser Blog ist eine einzige Themaverfehlung. Über Gott lässt sich nichts sagen.

Aber Gott lässt sich erfahren. Dieser Gott, der völlig komplett total anders ist, den kein Mensch auch nur ansatzweise begreift, dieser Gott wird so menschlich, dass Menschen ihn erfahren können. Sie verstehen ihn dann zwar immer noch nicht, aber sie glauben. Sie glauben, weil sie nicht anders können angesichts dieser Erfahrung.

Der alte weise Mann glaubt an Gott, an diesen Gott, den Jesus verkündet hat. Er glaubt, weil er weiß. Er weiß, weil er Gott erfahren hat. Der alte weise Mann hat nicht nur das Wirken Gottes erfahren, er hat Gott selbst erlebt. Körperlich, im Kampf, im Ansehen. Der alte weise Mann versteht immer noch nichts. Aber er kann nicht anders als zu glauben an diesen unbegreiflichen Gott. Und aus ihm zu leben und von ihm zu reden. Und dabei immer wieder das Thema zu verfehlen.

Reden ohne zu verstehen

Die meisten Menschen reden von Gott als ob sie eine Ahnung hätten. Das gilt auch für Atheisten. Das ist überhaupt unabhängig von der Religion.

Die Wahrheit ist: Kein Mensch hat eine Ahnung, wenn es um Gott geht. Null. Absolut kein Hauch einer Spur von Ahnung.

Gott übersteigt menschliches Verstehen. Wenn es jemanden gibt, der das alles hier aus nichts erschaffen kann, dann muss er mehr sein als nur ein menschlicher Superstar mit übernatürlichen Fähigkeiten. Dann ist er ganz anders. Nicht größer, nicht gewaltiger, nicht klüger als der Mensch. Anders. Komplett anders.

„Komplett anders“ heißt in der Praxis: Es gibt nichts in dieser Welt, was Gott ähnlich ist. Es gibt nichts in dieser Welt, aus dem wir darauf schließen könnten, wie Gott ist.

Es gibt übrigens auch nichts in dieser Welt, aus dem wir schließen könnten, dass es Gott nicht gibt. Wir können allein aus unserem eigenen Vermögen nichts über Gott oder Nicht-Gott sagen. Rein gar nichts.

Und trotzdem reden Menschen von Gott oder Nicht-Gott, als ob sie eine Ahnung hätten. Weil sie es nicht aushalten, in einem kalten uninteressierten Universum zu leben. Oder von etwas geschaffen worden zu sein, das sie nie verstehen werden. Und dann auch noch vollständig abhängig zu sein davon. Darum machen sie sich einen Gott oder Nicht-Gott, den sie verstehen und den sie dann im besten Fall auch beherrschen können. Das ist der eigentliche Zweck von Gebeten, Opfern, Gelöbnissen: Ich gebe dir, Gott, etwas, und damit habe ich einen Anspruch darauf, dass du nach meinen Vorstellungen funktionierst.

Das ist auch der eigentliche Zweck von Wissenschaft: Ich ringe dem kalten uninteressierten Universum seine Geheimnisse ab, um es dann zu beherrschen, damit es nach meinen Wünschen läuft.

Dummerweise klappt beides nicht. Wissenschaft verbessert zwar im günstigsten Fall das Leben vieler Menschen auf Kosten weniger Menschen und sonstiger Lebewesen. Aber mit jeder gefundenen Antwort tauchen hundert neue Fragen auf. Es wird nie ein Ende geben. Wirklich verstehen und beherrschen werden wir das Universum nie. Wir verstehen und beherrschen ja nicht einmal uns selber.

Und Gott lässt sich sowieso nie verstehen, geschweige denn beherrschen. Deshalb ist jedes Reden über Gott eine Themaverfehlung. Wir haben alle keine Ahnung. Weder von Gott noch von Nicht-Gott. Darum: Entspannt euch alle! Ihr seid alle gleich dumm. Es ist also sinnlos, sich gegenseitig Stress zu machen, weil jeder auf eine andere Weise diese Ahnungslosigkeit verdrängt.

Später dazu mehr.

Scheißegal

Alle Menschen haben ein grundlegendes Problem mit dieser Welt. Dieses Problem heißt: Wir sind dem Universum scheißegal.

Das ist schon allein deshalb so, weil das Universum keine Gefühle oder Absichten hat. Das Universum ist einfach eine ziemlich ausgedehnte Ansammlung von Atomen. Es hat keinen Willen, keinen Geist. Nun hat sich aber in diesem Universum eine bestimmte Art von Atom-Ansammlungen entwickelt, die nicht nur einfach funktioniert, sondern die weiß dass sie funktioniert, die über dieses Funktionieren nachdenken kann und deshalb in der Lage ist, Fragen zu stellen.

Und so tauchte bei dieser Ansammlung von Atomen namens Mensch schon bald die Frage auf: „Was soll denn der ganze Schmarrn?“ Diese Frage treibt jeden Menschen um. Noch mehr treibt es die Menschen um, dass sie keine verlässliche Antwort darauf bekommen. Weil eben dieses Universum nicht mal mit den Schultern zuckt, wenn man es fragt.

Es gibt und gab mehrere Möglichkeiten, wie Menschen mit dieser unbefriedigenden Situation umgehen. Nr. 1, die häufigste Reaktion: Nicht mehr weiter fragen. Augen zu und durch durch dieses Leben. Das ist die bequemste Lösung, aber auch die anstrengendste. Denn sie funktioniert nur, wenn man sich sein Leben lang ablenkt. Man muss jede Gelegenheit vermeiden, die irgendwie Anlass zum Nachdenken geben könnte. Das heißt in der Praxis: Pausenlose Action, Hektik und Betrieb. Und am effektivsten: Vorsätzlich so verblöden, dass man irgendwann gar nicht mehr nachdenken kann.

Nr. 2, eine weitere weit verbreitete Reaktion auf dieses geist- und leblose Universum: Die Menschen füllen es einfach mit Geist. In früheren Zeiten und in einfachen Kulturen wird die Natur vergöttert. In unserer geistig so furchtbar fortgeschrittenen Kultur geschieht dasselbe, nur etwas subtiler. Da heißt es dann: „Die Natur hat es so eingerichtet dass …“ oder „Die Evolution hat das Ziel dass …“ Auch der aufgeklärte moderne Mensch hält es nicht aus, dass „die Natur“ einfach so funktioniert, ohne dass das etwas mit ihm zu tun hat.

Reaktion Nr. 3: Der Mensch denkt sich etwas, das dieses Universum geschaffen hat und der/die/das das alles natürlich nur wegen dem Menschen gemacht hat. Wenn wir schon dem Universum scheißegal sind, dann kümmert sich wenigstens jemand/etwas außerhalb des Universums um uns.

Reaktion Nr. 4: Leben im vollen Bewusstsein, dass allein aus dieser Welt kein Sinn erwächst, dass sich diese Welt nicht um uns dreht, dass es nicht den geringsten Unterschied macht, ob ich existiere oder nicht. Diese Haltung vertreten viele – sagen sie zumindest. Wirklich durchhalten tut es keiner. Das übersteigt einfach menschliches Vermögen. Die meiste Zeit verbringen solche Menschen dann doch mit Reaktion Nr. 1 und/oder Nr. 2.

Gleichgültig aber wie man auf dieses Dilemma reagiert: Es ist der Hauptantrieb für das menschliche Handeln. Dazu später mehr.